Neobiota In Berliner Gewässern Im Jahr 2018

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Planungsbüro Hydrobiologie Berlinwww.hydrobiologie.comNeobiota in Berliner Gewässern im Jahr 2018 –Wirbellose Tiere, Fische und WasserpflanzenStand: Dezember 2018Bearbeiter:Dr. Reinhard Müller (Wirbellose), Dr. Christian Wolter (Fische) & Dr. Tim Peschel (Pflanzen)Im Auftrag der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz,Abteilung Integrativer Umweltschutz, Referat Wasserwirtschaft

Auftraggeber:Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und KlimaschutzAbteilung Integrativer UmweltschutzReferat Wasserrecht, Wasserwirtschaft und GeologieFachbereich Wasserwirtschaft, Wasserrahmenrichtlinie, Hochwasserschutz (II B 24)Brückenstr. 6, 10179 BerlinKoordination: Antje Köhlerunter Mitarbeit von Jens Puchmüller (Fischereiamt Berlin)Bearbeiter:Dr. Reinhard Müller (Wirbellose)Planungsbüro HydrobiologieAugustastraße 2, 12203 BerlinEmail: info@hydrobiologie.comTel. : (030) 834 52 13Mobil : 0160 976 32 183Dr. Tim Peschel (Wasserpflanzen)Ökologie & UmweltHerderstraße 10, 12163 BerlinDr. Christian Wolter (Fische)Leibniz-Institut für Gewässerökologie und BinnenfischereiMüggelseedamm 310, 12587 BerlinTitelbilder:Roter Amerikanischer Sumpfkrebs (Procambarus clarkii)( Foto: Karsten Grabow)Körbchenmuschel (Corbicula fluminea)( Foto: Karsten Grabow)Sonnenbarsch (Lepomis gibbosus)( Foto: Jörg Freyhof)Echinogammarus trichiatus ( Foto: Frank Eiseler)Alle Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt.

R. Müller, C. Wolter & T. Peschel (2018): Neobiota in Berliner Gewässern im Jahr 2018Inhaltsverzeichnis1. Einleitung . 51.1 Behandelte Arten. 51.1.1 Neozoa . 51.1.2 Neophyta. 91.2 Gründe für das Auftreten von Neobiota . 111.3. Auswirkung des Klimawandels auf das Auftreten von Neobiota . 131.3.1 Neozoa . 131.3.2 Neophyta. 141.4 Gefahrenpotenzial . 151.4.1 Neozoa . 151.4.2 Neophyta. 161.5 Gesetzliche Regelungen. 172. Artenverzeichnis . 192.1 Neozoa . 192.1.1 Fische (Pisces) . 19Ameiurus melas . 19Carassius auratus . 22Ctenopharyngodon idella . 24Hypophthalmichthys molitrix . 26Hypophthalmichthys nobilis . 28Lepomis gibbosus . 30Neogobius melanostomus. 32Pseudorasbora parva . 35Salvelinus fontinalis. 372.1.2 Aquatische Wirbellose (Makrozoobenthos) . 392.1.2.1 Weichtiere (Mollusca) . 39Muscheln (Bivalvia). 39Corbicula fluminea . 39Dreissena polymorpha . 41Dreissena rostriformis . 441

R. Müller, C. Wolter & T. Peschel (2018): Neobiota in Berliner Gewässern im Jahr 2018Schnecken (Gastropoda) . 46Ferrissia wautieri . 46Gyraulus parvus . 48Lithoglyphus naticoides . 50Menetus dilatatus . 52Physella acuta . 54Potamopyrgus antipodarum . 562.1.2.2 Krebstiere (Crustacea) . 58Flusskrebse (Astacidae/Cambaridae) . 58Astacus leptodactylus . 58Orconectes limosus . 60Procambarus clarkii. 62Procambarus fallax forma virginalis . 65Krabben (Brachiura). 67Eriocheir sinensis . 67Garnelen (Caridea). 69Atyaephyra desmaresti . 69Schwebegarnelen (Mysida) . 71Limnomysis benedeni . 71Paramysis lacustris . 73Röhrenkrebse, Schlickkrebse (Corophiidae) . 74Chelicorophium curvispinum . 74Chelicorophium robustum . 76Flohkrebse (Gammaridae) . 78Crangonyx pseudogracilis . 78Dikerogammarus haemobaphes . 80Dikerogammarus villosus . 82Echinogammarus ischnus. 84Echinogammarus trichiatus . 86Gammarus tigrinus . 88Obesogammarus crassus . 90Orchestia cavimana . 92Pontogammarus robustoides . 94Asseln (Asellota) . 96Jaera istri . 962

R. Müller, C. Wolter & T. Peschel (2018): Neobiota in Berliner Gewässern im Jahr 2018Proasellus coxalis . 982.1.2.3 Ringelwürmer (Annelida) . 100Branchiura sowerbii . 100Caspiobdella fadejewi . 102Hypania invalida . 1042.1.2.4 Strudelwürmer (Turbellaria) . 106Dugesia tigrina . 1062.1.2.5 Nesseltiere (Cnidaria) . 108Cordylophora caspia . 108Craspedacusta sowerbii . 1102.2 Neophyta . 112Elodea canadensis . 112Elodea nuttallii . 115Lemna minuta . 1183. Literatur . 1204. Glossar . 1433

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R. Müller, C. Wolter & T. Peschel (2018): Neobiota in Berliner Gewässern im Jahr 20181. EinleitungIn den letzten Jahrzehnten wurden vermehrt Tier- und Pflanzenarten in deutschen Gewässernfestgestellt, die ursprünglich nicht zur regionalen, sogenannten „autochthonen“ Fauna undFlora gehörten. Diese Arten werden als „Neobiota“ oder „allochthone“ bzw. gebietsfremdeArten bezeichnet. Per Definition gelten alle Tiere und Pflanzen, die seit dem Stichtag derEntdeckung Amerikas durch Columbus im Jahr 1492 nach Europa eingeführt wurden und sichhier integriert haben, als Neubürger.Bei den Tieren spricht man von „Neozoen“, die Neubürger unter den Pflanzen werden als„Neophyten“ bezeichnet. Dieser Bericht beschäftigt sich mit denjenigen Neobiota, die sich inBerliner Gewässern dauerhaft etablieren konnten. Meistens, aber nicht immer fügen sich dieeingeschleppten Arten problemlos in die einheimische Fauna ein. Als „invasiv“ werden solcheArten bezeichnet, deren Auftreten zu einer Beeinträchtigung der einheimischenLebensgemeinschaft oder zu ökonomischen oder gesundheitlichen Schäden führt (SCHÖLL etal. 2015).Bei den aquatischen Wirbellosen (Makrozoobenthos) des Süßwassers gelten mittlerweile inDeutschland über 50 gebietsfremde Arten als etabliert, d.h. sie reproduzieren sich hier übereinen Zeitraum von mehreren Jahren. Bei den Fischen wurden mittlerweile fast 100gebietsfremde Arten festgestellt.Informationen zu den Neobiota Berlins werden auch auf der folgenden Seite derSenatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz angeboten:https://www.berlin.de/senuvk/natur gruen/naturschutz/artenschutz/de/invasive arten.shtmlDas Informationsportal des Bundesamtes für Naturschutz befindet sich hier:https://neobiota.bfn.de/1.1 Behandelte Arten1.1.1 NeozoaIn diesem Bericht werden von den Neozoen die makroskopisch sichtbaren, bodenlebendenwirbellosen Tiere (das sogenannte Makrozoobenthos) sowie die Fische behandelt.Nicht als Neozoen gelten Arten, die aufgrund von Arealerweiterungen neu im Gebietnachgewiesen wurden, auch dann nicht, wenn die Arealerweiterung vermutlich auf denKlimawandel zurückzuführen ist. Dies betrifft z.B. die Libellenarten Crocothemis erythraea(BRULLÉ, 1832)(Feuerlibelle) und Aeshna affinis VANDER LINDEN, 1820 (Südliche Mosaikjungfer),die sich seit mehreren Jahren in Berlin/Brandenburg etabliert haben.5

R. Müller, C. Wolter & T. Peschel (2018): Neobiota in Berliner Gewässern im Jahr 2018Es wird im Artenverzeichnis nur auf Spezies eingegangen, die bis zum Jahresende 2018 inBerlin nachgewiesen werden konnten. Einige Arten wurden zwar bereits in Brandenburgfestgestellt, Funde aus Berlin fehlen aber bislang. Dies betrifft folgende Taxa:Von dem in einigen westlichen Bundesländern weit verbreiteten und häufigen, ausNordamerika stammenden Signalkrebs Pacifastacus leniusculus (DANA, 1852) liegen ausBrandenburg nach NEHRING (2016) bislang nur zwei Nachweise vor. Tatsächlich dürfte die Artdort aber weiter verbreitet sein. Ein besonders individuenreiches Vorkommen befindet sichim Schwarzen Fließ bei Guben (Südbrandenburg). Aber auch im Belziger Bach bei Belzig(Fläming) wird der Signalkrebs regelmäßig nachgewiesen (Steffen Zahn, Institut fürBinnenfischerei, mündl. Mitt. 2017). Beim Signalkrebs handelt es sich um eine invasive Art, dieauf der EU-Liste der invasiven Arten geführt wird. Er stellt eine große Bedrohung für die letztenBestände des einheimischen Edelkrebses (Astacus astacus) dar, da er die gleichenLebensräume – kühle Bachoberläufe – wie der Edelkrebs bewohnt.In Brandenburg tritt relativ zerstreut und selten die Schwebegarnele (Mysidacea) Hemimysisanomala SARS, 1907 auf, neuere Nachweise existieren z.B. aus der Oder und dem Rhin beiZippelsförde.Der Flohkrebs Gammarus varsoviensis JAZDZEWSKI, 1975 ist in vielen Kanälen undWasserstraßen Brandenburgs zu finden (MÜLLER 2006, MEßNER & ZETTLER 2016) und derErstnachweis aus Deutschland von 1898 stammt sogar aus dem Neuen See in BerlinTiergarten. Rezente Funde der Art in Berlin fehlen aber.Bei den Weichtieren ist in Berlin mit Nachweisen der Asiatischen Teichmuschel Sinanodontawoodiana (LEA, 1834) zu rechnen, die u.a. in Gartencentern angeboten wird und von derbereits reproduzierende Freilandpopulationen aus dem Süden Brandenburgs (Oder-NeißeGebiet) bekannt sind.Der Artstatus der Amerikanischen Blasenschnecke (Physella heterostropha SAY, 1817) ist nichtendgültig geklärt, die Art ist von Physella acuta nach den Gehäusemerkmalen nicht sicherunterscheidbar und wird teilweise als Synonym von Letzterer gehandelt. Auf einen Steckbriefvon P. heterostropha wird wegen der unklaren Lage daher verzichtet.Bei den Fischen ist die Regenbogenforelle Oncorhynchus mykiss (WALBAUM, 1792) nicht mehrim Artenverzeichnis enthalten. In Berlin sank die Zahl ihrer Vorkommen von 17 im Jahr 1993(VILCINKAS & WOLTER 1993) auf 4 bis 2003 (WOLTER et al. 2003) und 0 bis 2013 (WOLTER &SCHOMAKER 2013). Allerdings zeigt ein am 31. Juli 2013 bei YouTube eingestelltes Video einegroße Regenbogenforelle als Nachläufer auf einen Wobbler im Unterwasser des WehrsCharlottenburg. Aus Brandenburger Gewässern sind 71 Vorkommen bekannt, überwiegendEinzelfunde (SCHARF et al. 2011). Die Tendenz ist abnehmend.Von der Marmorgrundel (Proterorhinus semilunaris [HECKEL 1837]) liegt ein aktueller Nachweisaus dem Kalksee bei Rüdersdorf vor.6

R. Müller, C. Wolter & T. Peschel (2018): Neobiota in Berliner Gewässern im Jahr 2018Aus welchen Tiergruppen stammen die Neozoen?Bei den meisten aquatischen Neozoen handelt es sich um Fische sowie um Krebs- undWeichtiere, unter den Wasserinsekten wurden bislang keine Neubürger nachgewiesen. Sosind aus Berliner Gewässern derzeit 21 eingewanderte Krebstierarten bekannt, davon elfArten von Flohkrebsen, sowie eine Garnelen-, zwei Schwebegarnelen-, eine Krabben-, vierFlusskrebs- und zwei Asselarten (vgl. Tab. 1.1). Drei „neue“ Arten wurden seit dem letztenNeozenbericht (MÜLLER et al. 2016) in der Stadt gefunden. Die zugewanderten bzw.eingeschleppten Arten stammen häufig aus Süd- und Südosteuropa, der Region um dasSchwarze und Kaspische Meer (Pontokaspis) sowie aus Nordamerika.Tabelle 1.1: Neozoa in Berliner Gewässern (* Arten die nach 2016 erstmalig in Berlin nachgewiesenwurden, Angabe der deutschen Namen nur, wenn eindeutig und etabliert)Lateinischer Name (Deutscher Name)HerkunftPisces (Fische)Ameiurus melas (Schwarzer Zwergwels)Carassius auratus (Goldfisch)Ctenopharyngodon idella (Graskarpfen)Hypophthalmichthys molitrix (Silberkarpfen)Hypophthalmichthys nobilis (Marmorkarpfen)Lepomis gibbosus (Sonnenbarsch)Neogobius melanostomus (Schwarzmundgrundel)Pseudorasbora parva (Blaubandbärbling)Salvelinus fontinalis (Bachsaibling)NordamerikaChina, AsienOstchina, stasienNordamerikaCrustacea (Krebstiere)Amphipoda (Flohkrebse)Chelicorophium curvispinum (Süßwasser-Röhrenkrebs)Chelicorophium robustumCrangonyx pseudogracilis *Dikerogammarus villosus (Höcker-Flohkrebs)Dikerogammarus haemobaphesEchinogammarus ischnus (Granataugen-Flohkrebs)Echinogammarus trichiatusGammarus tigrinus (Tiger-Flohkrebs)Obesogammarus crassusOrchestia cavimana (Süßwasser-Strandfloh)Pontogammarus ecapoda (Zehnfußkrebse)Astacus leptodactylus (Galizischer Sumpfkrebs) *Atyaephyra desmaresti (Süßwassergarnele)Eriocheir sinensis (Chinesische Wollhandkrabbe)Orconectes limosus (Kamberkrebs)Procambarus clarkii (Roter Amerikanischer Sumpfkrebs)Procambarus fallax f. virginalis (Marmorkrebs)Osteuropa, AsienMittelmeergebietChina, KoreaNordamerikaNord- und MittelamerikaZucht, Stammform NordamerikaMysida (Schwebegarnelen)Limnomysis bendeni (Donau-Schwebegarnele)Pontokaspis7

R. Müller, C. Wolter & T. Peschel (2018): Neobiota in Berliner Gewässern im Jahr 2018Lateinischer Name (Deutscher Name)HerkunftParamysis lacustris *PontokaspisIsopoda (Asseln)Jaera istri (Donauassel)Proasellus coxalisPontokaspisMittelmeergebietBivalvia (Muscheln)Corbicula fluminea (Grobgerippte Körbchenmuschel)Dreissena polymorpha (Zebramuschel)Dreissena rostriformis Gastropoda (Schnecken)Ferrissia wautieri (Flache Mützenschnecke)Gyraulus parvus (Amerikanisches Posthörnchen)Lithoglyphus naticoides (Fluss-Steinkleber)Menetus dilatatus (Amerikanisches Zwerg-Posthörnchen)Physella acuta (Spitze Blasenschnecke)Potamopyrgus antipodarum (NeuseeländischeZwergdeckelschnecke)Nordamerika, Mittelmeer-/DonauraumNord- und MittelamerikaPontokaspis, ida (Ringelwürmer)Branchiura sowerbyi (Kiemenwurm)Caspiobdella fadejewiHypania invalida ntokaspis, SüdosteuropaTurbellaria (Strudelwürmer)Dugesia tigrina (Tiger-Strudelwurm)NordamerikaCnidaria (Nesseltiere)Cordylophora caspia (Keulenpolyp)Craspedacusta sowerbii (Süßwassermeduse)PontokaspisOstasien (?)8

R. Müller, C. Wolter & T. Peschel (2018): Neobiota in Berliner Gewässern im Jahr 20181.1.2 NeophytaBehandelt werden im Folgenden die makroskopisch (ohne vergrößernde Hilfsmittel)sichtbaren, untergetaucht lebenden Pflanzen (submerse Makrophyten Submersophyten)und Schwimmblattpflanzen (natante Makrophyten Natantophyten). Kein Gegenstand dervorliegenden Studie ist die Röhrichtvegetation.Besprochen werden nur diejenigen Arten, die in Berlin als etabliert gelten. Die Angaben derEinwanderungszeiträume und der Etablierung der Pflanzensippen richten sich nach PRASSE etal. (2001) und SEITZ et al. (2012). Als Neophyten werden dort Sippen bezeichnet, die nach 1500n. Chr. mit oder ohne Hilfe des Menschen in das Berliner Gebiet eingewandert sind. DieAngaben zur Beurteilung der Etablierung einer Pflanzensippe erfolgen überpopulationsbiologische und zeitliche Kriterien (vgl. KOWARIK 1991, 1992). Um eine Sippe fürBerlin als etabliert einzustufen, ist es notwendig, dass sie oder als zeitliches Kriterium im Bezugsraum in wenigstens einer spontan aufgewachsenenPopulation über einen Zeitraum von nicht weniger als 25 Jahren nachgewiesen seinmussfür den Fall, dass sie seit weniger als 25 Jahren auftritt, sich die Sippe als raumzeitlichesKriterium über einen erheblichen Teil des Berliner Stadtgebietes ausgebreitet hat.Gleichzeitig muss sie als populationsbiologisches Kriterium im Berliner Raum sich erfolgreichreproduzierende Individuen über Diasporen bzw. Rameten (vegetativ entstandene, potenziellselbständige Einheiten einer Pflanze) in wenigstens zweimaliger Folge gebildet haben. EineSippe gilt nur dann im Berliner Stadtgebiet als etabliert, wenn das zeitliche oder dasraumzeitliche Kriterium sowie das populationsbiologische Kriterium erfüllt sind.Zahlreiche Wasserpflanzen treten in Berlin unbeständig auf bzw. können nach den in derEinleitung genannten Kriterien gegenwärtig nicht als etabliert gelten. Die nachfolgendeAuflistung der für Berlin als nicht etabliert geltenden Sippen in Tabelle 1.2 basiert auf Angabendes Berliner Florenatlas (SEITZ et al. 2012). Sie erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, dader Prozess der beabsichtigten oder unbeabsichtigten Ausbringungen von Zier- undAquarienpflanzen nicht abgeschlossen ist. Auch zukünftig wird daher mit dem Auftreten neuerTaxa zu rechnen sein.Die Herkünfte des überwiegenden Teils der aufgeführten Arten zeigen, dass sie in Berlin nurin den wärmeren Monaten des Jahres gedeihen können. Wie andere Arten tropischerHerkünfte auch, ist z.B. der Wassersalat (Pistia stratioides) nur dann in der Lage inMitteleuropa die Wintermonate zu überleben, wenn die Wassertemperaturen nicht unter 10 C absinken, beispielsweise bedingt durch warme Zuflüsse aus Kraftwerken. Andernfallsvermögen diese Arten nur durch das regelmäßige Ausbringen weiterer Exemplare über einenlängeren Zeitraum an einem Standort vorzukommen. Auf diese Weise lassen sich auch die seiteinigen Jahren beobachteten Vorkommen des Wassersalates in Neu-Venedig am Müggelseeerklären.9

R. Müller, C. Wolter & T. Peschel (2018): Neobiota in Berliner Gewässern im Jahr 2018Bei anderen Arten hingegen wie z.B. dem Pfriemlichen Pfeilkraut (Sagittaria subulata) oderder Winzigen Wasserlinse (Lemna minuta) ist aufgrund ihrer Herkunft aus klimatischgemäßigten Gebieten durchaus mit einer dauerhaften Etablierung zu rechnen.Tabelle 1.2: Nicht etablierte aquatische Neophyten in Berliner Gewässern (nach SEITZ et al. 2012)Lateinischer NameDeutscher NameAzolla filiculoidesGroßer AlgenfarnEgeria densaLemna turioniferaDichte WasserpestRote WasserlinseNymphoides peltataSeekannePistia stratioidesSagittaria subulataNymphaea-HybridenWassersalatPfriemliches s-subtropischesAmerikawarmgemäßigtes SüdamerikaNordamerika, Europa?südliches bis mittleres Europa bis zur16 C Juli-Isotherme, gemäßigtes AsienSubtropen-Tropen, Herkunft ungewissöstliches Nordamerika, Südamerikagärtnerische ZüchtungenDie Seekanne (Nymphoides peltata) wird im Berliner Florenatlas (SEITZ et al. 2012) zwar alsetabliert aufgeführt. Gleichzeitig wird sie aber in die Kategorie 0 (ausgestorben oderverschollen) der Roten Liste Berlin (PRASSE et al. 2001) eingestuft. Als Erläuterung wird wiefolgt ausgeführt: „(.) nur für wenige dieser Vorkommen ist eine Etablierung belegt. Da derEtablierungsstatus der Populationen nicht immer erfasst werden konnte, werden in der Kartealle Nachweise als etabliert gekennzeichnet.“ Im Rahmen des Beitrags wird aufgrund desweitgehend unklaren Status die Art weiterhin (vgl. PRASSE et al. 2001) als nicht etablierteingestuft.Bei den bislang als einheimisch angesehenen Vorkommen der Zwergwasserlinse (Wolfiaarrhiza) kann es sich möglicherweise zum Teil auch um neophytische Vorkommen handeln(vgl. SCHMITZ et al. 2016).Zusätzlich zu den nicht heimischen Wildpflanzen werden immer wieder Gartensorten, wie diein der Tabelle aufgeführten Seerosen-Hybriden in den Berliner Gewässern beobachtet. DurchAuslese von Mutanten oder Kreuzungen der einheimischen Weißen Seerose (Nymphaea alba)mit der aus Ostindien stammenden Roten Seerose (Nymphaea rubra) sind zahlreiche rosablühende Sorten entstanden (vgl. KRAUSCH 1996). Neben den offensichtlich nichtgebietsheimischen Pflanzen werden aber auch gebietsheimische Pflanzen wie zum Beispieldie Weiße Seerose (Nymphaea alba) in nicht unerheblichen Mengen gepflanzt. Unter demAspekt der Florenverfälschung können diese Herkünfte aus Sicht des Natur- undArtenschutzes problematisch sein. Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang,dass der Art-Begriff im Bundesnaturschutzgesetz ". jede Art, Unterart oder Teilpopulationeiner Art oder Unterart." umfasst (§7 Abs. 2 Nr. 3. BNatSchG). Deshalb sind verschiedeneTeilpopulationen von Arten unbekannter Provenienz wie beispielsweise Ansalbungen ebensowie Zuchtformen oder Sorten als potenziell gebietsfremd zu bewerten, obwohl sie imnaturwissenschaftlich taxonomischen Sinn der gleichen Art angehören (vgl. FRENTZ et al. 2009).10

R. Müller, C. Wolter & T. Peschel (2018): Neobiota in Berliner Gewässern im Jahr 20181.2 Gründe für das Auftreten von NeobiotaFür das Auftreten der Neobiota gibt es verschiedene Gründe: Durch den Bau von Kanälen wurden Ausbreitungswege geschaffen und getrennteGewässersysteme mit eigenständiger Fauna und Flora miteinander verbunden. Zuerwähnen sind in Deutschland insbesondere der Main-Donau-Kanal und derMittellandkanal, die häufig als Ausbreitungsachsen dienen (vgl. SCHÖLL et al. 2015).Viele Gewässertiere sind in der Lage, aktive Wanderungen über größere Strecken zuunternehmen. Der globale Schiffsverkehr ermöglicht es vielen Arten, als blinde Passagiere weiteStrecken zu überwinden, entweder außen an die Bordwand geheftet (sessile Artenund Arten, die in deren Lückensystem leben) oder im Ballast- oder Bilgewasser sowiein den Kühlwasserfiltern der Schiffe. Durch den weltweiten Handel mit Aquarien- und Teichbedarf werden weitgehendunkontrolliert ausländische Arten eingeführt, die z.B. durch Aussetzung in heimischeGewässer gelangen und sich dort ausbreiten können (z.B. Roter AmerikanischerSumpfkrebs und Marmorkrebs, die Blasenschnecke Physella acuta oder der GroßeAlgenfarn Azolla filiculoides). Viele der in den Gewässern vorkommenden NeophytenArten werden für die Bepflanzung von Gartenteichen und Aquarien verwendet. So istzumindest bei einem Teil dieser Arten davon auszugehen, dass sie hier ihren Ursprunghaben und von dort in die Gewässer gelangten. Hier breiteten sie sich aufverschiedenen Wegen weiter aus. Dies kann ganz bewusst durch gezielte menschlicheAuspflanzung („Ansalbung“) geschehen, aber auch die Verschleppung durchWasservögel und Wasserfahrzeuge oder die Verdriftung mit der Strömung sindmöglich. Aus wirtschaftlichen Gründen wurden Arten teilweise auch bewusst eingeführt,unter anderem als Fischnährtiere in stark versalzten Gewässern, z.B. dernordamerikanische Tiger-Flohkrebs Gammarus tigrinus. Der Kamberkrebs Orconecteslimosus und der Galizische Sumpfkrebs Astacus leptodactylus wurden in Deutschlandeingeführt, um die sinkenden Fangergebnisse beim von der Krebspest dezimierteneinheimischen Edelkrebs Astacus astacus zu kompensieren. Pontogammarusrobustoides, Obesogammarus crassus, Limnomysis benedeni, Paramysis lacustris undDikerogammarus haemobaphes wurden im Baltikum als Nährtiere in verschiedenenStauseen ausgesetzt. Auch für gebietsfremde Fischarten und für Flusskrebse ist Besatz derHaupteintragspfad. Rund 72% der 237 bis 1985 bekannten Einbürgerungsversuche mitgebietsfremden Fischarten weltweit waren fischereilich motiviert und zieltenbeispielsweise auf die Förderung der Seen- und Flussfischerei (14%), auf die Nutzungneuer Arten in der Fischzucht (42%) sowie weitere auf die Steigerung der Attraktivitätdes Angelns (16%) (WELCOMME 1988). Zwanzig Jahre später nennt GOZLAN (2008) bereits624 erfolgreich eingebürgerte Fischarten weltweit, die zu 91% durch Nutzungmotiviert waren: in der Aquakultur (51%), als Zierfische (21%) sowie in der Angel11

R. Müller, C. Wolter & T. Peschel (2018): Neobiota in Berliner Gewässern im Jahr 2018(12%) und kommerziellen Fischerei (7%). Mit verunreinigtem Besatzmaterial gelangenauch eingeschleppte Wirbellose in neue Gewässer. Durch die Eiszeiten wurden viele ehemals in Mitteleuropa heimische Arten in denMittelmeerraum und die Pontokaspis verdrängt. Ein Teil dieser Arten breitet sich nunwieder aus. Hier handelt es sich um eine natürliche Rückwanderung, die durch denAusbau der Wasser

Dr. Christian Wolter (Fische) Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei Müggelseedamm 310, 12587 Berlin Titelbilder: Roter Amerikanischer Sumpfkrebs (Procambarus clarkii)( Foto: Karsten Grabow) Körbchenmuschel (Corbicula fluminea)( Foto: Karsten Grabow) Sonnenbarsch (Lepomis gibbosus)( Foto: Jörg Freyhof)