1 Formen Der Entwicklung Von Gesprächsfähigkeiten - Bsz-bw.de

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Erschienen in: Knapp, Karlfried et al. (Hrsg.): Angewandte Linguistik. Ein Lehrbuch.- Tübingen/Basel: Francke, 2011, 3., vollst. überarb. und erw. Aufl. S. 355-375.(UTB 8275)GesprächstrainingReinhard Fiehler und R ein h old Schmitt1Formen der Entwicklung von GesprächsfähigkeitenDie Fähigkeiten, m ündlich zu kom m u n izieren und Gespräche zu führen,en tw ick eln und verän dern sich über die gesam te Lebensspanne. DerErw erb v o n Gesprächsfähigkeiten kann dabei auf zw e ie rle i W eise e rfo l-Entwicklungvon Gesprächsfähigkeitengen: einerseits ungesteuert in der K om m u nikationspraxis selbst, an d ererseits gesteuert durch systematisches Leh ren und Lern en v o n Gesprächsverhalten. W ird versucht, Gesprächsfähigkeiten explizit durch U nterrichtund Ü bungen zu en tw ick eln und zu verbessern, so hat dies zur Voraussetzung, dass m an Gesprächsfähigkeit als ein gestalt- und entw ickelbaresV erm ögen versteht und dass das naturw üchsige S p rech en -K ön n en nichtunbedingt bedeutet, dass m an Gespräche auch in ein er partn erbezogen enund effek tiven W eise führt.Verm eintliche und tatsächliche Sprach- und K om m u n ik ation sp rob lem e, w ie vie le M en sch en sie im beruflichen, öffen tlich en und privatenB ereich erleben, führen zu ein er g ew a ltigen gesellschaftlichen NachfrageSprach- undKommunikationsproblemenach systematisch an geleiteter E ntw icklu ng v o n G esprächsfähigkeiten.Diese N achfrage begründet ein en riesigen M arkt kom m u n ik ation sb ezogen er Dienstleistungen. A u f diesem M arkt treffen sich die versch iedensten Disziplinen, K on zep tio n en und Personen m it ein em breiten undd ifferen zierten A n geb ot. Die w issenschaftlichen Disziplinen, die sichtheoretisch und praktisch m it der E ntw icklu ng v o n G esprächsfähigkeitenbefassen, reichen von der Rhetorik über die Psychologie (inklu sive th erapeutischer K o n zep te w ie Gesprächstherapie, Transaktionsanalyse, N eu rolinguistisches Program m ieren etc.), Pädagogik und SprechtWissenschaftbis hin zur Linguistik, insbesondere in Gestalt der an gew an dten G esprächsforschung. Sie befriedigen die N achfrage m it Kursen, Sem inarenund Trainings, durch verschiedene F orm en v o n B eratung (z.B . C oaching)od er durch R atgeberliteratur (vgl. B rem erich-Vos 1991; A n tos 1996), diezum Selbststudium gedacht ist.Die A n g eb o te unterscheiden sich in vie le n D im ensionen: U nterschiede bestehen hinsichtlich der zugrunde liegen d en Auffassungen v o n K o m m unikation, der relevan ten B ezu gstheorien und der W ege, w ie W issenUnterschiedlicheTrainingskonzeptionenüber die bei den T eiln eh m erin n en und Teilnehm ern vorh an d en en k o m m u nikativen Fähigkeiten, über relevan te K om m u n ik ation sp rob lem e undüber V erän deru n gsn otw en digkeiten g e w o n n e n w ird. Darüber hinausunterscheiden sie sich hinsichtlich der Zielvorstellungen, w ie K o m m u n ikation idealer W eise sein soll, der verm ittelten Inhalte und der M eth od ikdes Lehrens und Lernens etc. (vgl. F iehler 2001, F iehler 2009).355

LinguistischesWissenin TrainingsLinguistisches W issen über K om m u n ikation und Gespräche spielt inden gängigen Form en v o n Beratung und Training nur am Rande eineRolle. Hauptsächlich sind es nach w ie v o r psychologische und nachrichtentechnische K om m u n ikation sm odelle w ie Bühlers O rgan on -M odell, dasSender-Em pfänger-M odell, W atzlawicks K om m u n ikation saxiom e oderdas 4-O h ren -M od ell v o n Schulz von Thun, die in diesen Trainings denR ahm en für das Verständnis v o n K om m u n ikation bilden. N u r in Ausnahm efällen arbeiten Personen m it einer linguistischen oder gesprächsanalytischen Ausbildung in diesem Feld hauptberuflich (vgl. Brünner/Fiehler2002). Das Fehlen linguistischer K om p eten z im Trainingssektor ist b em erkenswert, denn die Gesprächsforschung kann oh n e Z w eifel aufgrund ihresbreiten und em pirisch fundierten Wissens über K om m u n ikation einenw esentlichen Beitrag sow oh l zur K on zep tion und zu den Inhalten als auchzur M eth od ik v o n Kom m unikationstrainings leisten.In diesem A rtik el m öch ten w ir deshalb verdeu tlichen, w ie sich A u f-Aufgabenstellunggabe und Praxis der E ntw icklu ng und Veränderung kom m u n ik ativerFähigkeiten aus Sicht der an gew an d ten Gesprächsforschung darstellen.W ir beschreiben die A rbeitsw eise gesprächsanalytischer Trainings undstellen dar, w o rin ihre Spezifik besteht.Zunächst skizzieren w ir dazu das Verhältnis v o n wissenschaftlicher undGliederungan gew an dter Gesprächsforschung (Abschnitt 2), charakterisieren dann dasA n w en d u n gsfeld ,U nternehm enskom m u nikation' (Abschnitt 3), stellendie idealtypische Struktur gesprächsanalytischer Trainings v o r (Abschnitt4), diskutieren Vor- und N achteile des gesprächsanalytischen Verm ittlungsansatzes (Abschnitt 5) und en tw erfen zum Abschluss Perspektivenfür Studierende, die sich für an gew an dte Gesprächsforschung als M ö g lichkeit der Verm ittlung kom m u n ik ativer Fähigkeiten interessieren (A b schnitt ftliche und angewandte GesprächsforschungDie Gesprächsforschung hat sich in Deutschland in m eh reren Variantenund unter verschiedenen B ezeichnungen (Gesprächs-, Konversations-,Diskurs-, Dialog-, Kom m unikationsanalyse/-forschung/-linguistik) in denletzten 25 Jahren als eigenständige Teildisziplin innerhalb der Sprachwissenschaft und Soziologie etabliert. Ihr Ziel ist die wissenschaftliche E rforschung der Organisationsprinzipien v o n m ündlicher K om m u n ikation undder Regularitäten des k om m u n ikativen Handelns in Gesprächen. Die A u fzeichnung authentischer Gespräche, ihre detaillierte Verschriftlichung(Transkription) und die A nalyse dieser Transkripte und A u fn ah m en bildenden K ern der gesprächsanalytischen A rbeitsw eise (siehe Becker-M rotzek/M eier 2002; D epperm ann 2008).A u f der Basis dieser M e th o d o lo g ie hat die Gesprächsforschung u m fangreiche U ntersuchungen zu den k om m u n ikativen B esonderheiten derverschiedenen gesellschaftlichen Institutionen(Schule, Gericht, A rzt-Patien ten -K om m u n ikation , B ü rger-V erw altu ngs-K om m u nikation, K o m m u nikation im U n tern eh m en etc.), der m assenm edialen und der p riva -356ten K om m u n ik ation durchgeführt. Resultat dieser U ntersuchungen sind

generalisierende deskriptive Aussagen über R egularitäten des Gesprächsverhaltens (z.B . b efolgte R egeln, M uster, Handlungsschem ata). Sie b e zie h en sich auf Gespräche generell, auf ein zeln e Gesprächsgattungen undauf lokale Gesprächsaufgaben.M itte der 80er Jahre begann die Gesprächsforschung sich für denB ereich der gesteuerten E ntw icklu ng k om m u n ik ativer Fähigkeiten zuinteressieren (K a llm e y e r 1985a). Sie w a r dabei zunächst noch nicht aufAngewandteGesprächsforschungpraktische A n w e n d u n g ausgerichtet, sondern verstand sich w eiterh in alswissenschaftliche Disziplin. Das A rbeitsfeld und die A rbeitsw eise der G esprächsforschung enthalten aber Elem ente,die ein e praktische A n -w en d u n g ihrer Ergebnisse fördern: die A u fzeich n u n g und Untersuchungv o n authentischen Gesprächen (sehr häufig aus institutionellen und p ro fessionellen K o n tex ten ), der U m gang m it den Personen im untersuchtenFeld, die häufig im Zusam m enhang m it der D atenerhebu ng den W unschnach R ü ckm eldu ng v o n Ergebnissen äußern, und die beobachtete k o m m u n ikative Praxis, bei der aus der A u ß en p ersp ek tive häufig Problem eund Störungen auffallen. A ll diese Punkte legen es nahe, diese Praxisnicht nur zu beschreiben, sondern auch über M öglich k eiten ihrer Veränderung oder Verbesserung nachzudenken.ln ein em zw e ite n Schritt zielten gesprächsanalytische Untersuchungen also auch au f die systematische Iden tifizieru n g v o n Verständigungsprob lem en und K om m u n ikation sstöru n gen in den verschiedenen In teraktionsform en und Gesprächstypen. N eb en das W issen um Organisa-Verständigungsprobleme undKommunikationsstörungentionsprinzipien und R egularitäten der K om m u n ik ation tritt so ein Wissenüber typische Sprach- und K om m u n ikation sproblem e, die m it bestim m ten Gesprächsform en und -aufgaben verbu n den sind. Sprach- und K o m m u nikationsproblem e stellen dam it die zentrale Schnittstelle der G esprächsforschung zu ihrer A n w e n d u n g in K om m u nikationsberatu ng und-training dar (vgl. A ntos 1996).Inzw ischen versteht sich die Gesprächsforschung zu nehm end auch alsanw endungsorientierte Disziplin (Fiehler/Sucharowski1992, Brünner/Fiehler/Kindt 1999/2002 und M eer/Spiegel 2009). Seinen organisatorischen Ausdruck fand dies 1987 in der Gründung des schung'.A n gew an dte Gesprächsforschung', der sich die U m setzung gesprächsanalytischer Forschungsergebnisse in K om m unikationsberatung und -trainingsow ie die theoretische und m eth odologisch e R eflexion dieser Um setzungzur A u fgabe gem acht hat (vgl. B ecker-M rotzek/B rünner 1992, Fiehler/Schmitt 2004). Die seit einiger Zeit im Zusam m enhang der R eflexion undEtablierung ein er m ultim odalen K on zep tion v o n Interaktion (Schm itt(2006a, 2007a, b, c), M ondada/Schm itt 2010a, b) erfolgen de Integrationauch der sichtbaren A n teile von K om m u n ikation eröffn et inzwischenneue Perspektiven im B ereich der A n w en d u n g (H eidtm ann 2009, Heidtmann/Schm itt i. Dr., Schmitt 2009).3Anwendungsfelder: Das Beispiel UnternehmenskommunikationEines der vorra n gigen Praxisfelder gesprächsanalytischer K o m m u n ik a tionstrainings sind W irtschaftsu nternehm en m it ihrem k o m p lexen Ge-357

Unternehmenskommunikation alsGegenstand derGesprächsforschungflech t unterschiedlicher F orm en inner- und außerbetrieblich er K o m m u nikation. Die Sprachwissenschaft hat betriebliche K o m m u n ik a tio n langeZeit nicht als ein relevan tes U ntersuchungsfeld betrachtet, sondern esB etriebsw irten, Psych ologen und K om m u n ik ation strain ern überlassen,die im R egelfall k ein e spezielle sprachwissenschaftliche und k o m m u n ikationstheoretische A u sbildu n g haben. Erst m it der n eu en Forschungsrichtung der Gesprächsanalyse ist auch die W irtschaft ins Blickfeld derSprachwissenschaft gerückt. In zw isch en gibt es zu diesem B ereich einegan ze R eih e gesprächsanalytischer Untersuchungen, und es haben auchvielfach gesprächsanalytische Trainings in U n tern eh m en stattgefunden(z.B . B eck er-M rotzek 1994; Fiehler/K indt 1994; B rünner 2000; BeckerM rotzek /F ieh ler 2002; Schm itt/H eidtm ann 2005; Schm itt 2006b). D arüber hinaushatein e(Fiehler/Schm itt 2004;m eth od ologisch eSchm itt/H eitm annR e fle x io n2003)dieser Trainingsw ieauch der a n -gew a n d ten Gesprächsforschung gen erell eingesetzt (H artu ng 2004; B en del 2004).Kommunikation alsWirtschaftsfaktorA u f der anderen Seite ist in den letzten fü n fzeh n Jahren auch in denW irtsch aftsu n tern eh m en das B ewusstsein der B edeu tu n g v o n K o m m u n ikation deutlich gew ach sen . Im m er klarer trat hervor, dass w irtsch aftliches H andeln zu ein em w esen tlich en Teil kom m u n ik atives Handeln istund dass der U n tern eh m en serfolg entscheidend v o n der Q ualität derin tern en und ex tern en K om m u n ik a tion abhängt. K om m u n ik a tion w u r de als zentrale Produ ktivkraft erkannt, und K om m u n ik ation sfäh igk eitrückte in den R ang ein er Schlüsselqualifikation.A u ch das A u fk o m m e n des K on zepts der K u n d en o rien tieru n g lenktedie A u fm erk sam k eit verstärkt auf die B edeu tu ng v o n K om m u n ik ation .K u n d en orien tieru n g w ird dabei verstanden als die „system atische U m setzung der K u n d en erw a rtu n g en in leistungs- und interaktion sbezogen eM a ß n a h m en m it d em Ziel, den K u n d en n u tzen zu erh ö h en und lan gfristig stabile K u n d en b ezieh u n gen zu etab lieren " (B ru h n 1997:48).KundenorientierteGesprächsführungZu diesen in teraktion sbezogen en M a ß n a h m en geh ö rt auch das G espräch m it dem K u nden, in d em sich der w irtsch aftlich e Erfolg oderM isserfolg eines U n tern eh m en s am U nm ittelbarsten entscheidet. K o m m u n ik ativeK u n d en o rien tieru n g ist dabei nicht au f Verkaufs-undDienstleistungssituationen beschränkt, sondern umfasst alle K on taktem it u n tern eh m en sextern en Personen. Ein w esen tlich er Aspekt v o nK u n d en orien tieru n g besteht darin, diese u n tern eh m en sextern en G esprächskontakte so zu gestalten, dass W ü n sch e und Bedürfnisse derK u n d en erkannt und in ein er a n gen eh m en persön lich en A tm osph äre inm öglichst effe k tiv e r W eise erfü llt w erd en .K u n den orien tierte Gesprächsführung ist für v iele U n tern eh m en in zw ischen ein e in U nternehm ensgrundsätzen und Firm enleitlinien verankerteZielsetzung. Entsprechend existiert eine unüberschaubare Flut v o n K o m munikationstrainings,diesich dieSchulungvonkundenorientierterGesprächsführung zur A u fgabe gem acht hat (vgl. z.B. Gillen 1997; Seiwert1999). A u ch w en n gen erell deutliche Fortschritte in Hinblick auf K u n d en orientierung festzustellen sind, belegen zahlreiche Beispiele jedoch, dassdie alltägliche Praxis der K om m u n ikation m it K u nden den form ulierten358Ansprüchen in vieler Hinsicht (n och ) nicht entspricht. Empirische Unter-

suchungen (z.B . Fiehler/Schm itt 2002) haben u.a. drei Gründe für dieseM än gel in der K u n den orien tieru n g deutlich gem acht:1. U n tern eh m en svertreter und K u n d e haben unterschiedliche Perspektiven und Interessen. Die Leistung, die n o tw en d ig ist, um sich diesk on tin u ierlich zu vergegen w ä rtigen und im Gespräch zu berücksich-Mängelin der Kundenorientierungtigen, w ird nicht hinreichend erbracht.2. In v ie le n Fällen stim m t die gru n dlegen de Einstellung zum K u n dennicht: M a n hält ihn fü r ein e Störung des eigen en Tuns oder behandeltihn als in kom peten t, statt dessen Grad an K o m p eten z herauszuarbeiten und dort anzusetzen.3. Eine w ich tig e R o lle spielen unangem essene Vorstellungen über deneigen en A n te il an Gesprächen. Häufig m ein t der U n tern eh m en svertreter, dass das Resultat des Gesprächs nu r v o n ihm abhängt und erdaher den K u n d en einseitig steuern muss.4Das gesprächsanalytische TrainingW ir stellen im F olgen den die idealtypische Struktur eines gesprächsanalytischen Trainings dar, in dem w ir die ein zeln en Arbeitsschritte undA n fo rd eru n gen beschreiben, die ein solches Training beinhaltet. Dabeiverdeu tlich en w ir die a llgem ein en A u sfü h ru n gen zu den gsB esonderheiten gesprächsanalytischer Trainings an ein em kon kreten B eispiel ein er Studie zu m Them a „K u n d en orien tieru n g und U n tern eh m en spräsentation am T elefon ". Es ist w ichtig, die konkrete Praxis gesprächsanalytischer Trainings dem Idealtyp gegen ü b er zu stellen, da sich in derPraxis häufig nicht alle Schritte realisieren lassen. W ir w erd en am Endedieses Abschnitts d iejen igen Schritte zusam m enstellen, die unbedingterfolgen müssen, dam it Trainings ihre spezifische gesprächsanalytischeGrundlage und Qualität erhalten.4.1KontaktaufnahmeTrainingsm aßnahm en w erd en erw o gen , w e n n kom m u n ikative Schw achstellen festgestellt w erd en , oder sie w erd en prophylaktisch durchgeführt,Anlässefür Trainingsum „n och besser" zu w erd en : „D ie Schw ächen schw ächen und die Stärken stärken" ist ein e geläu fige Form u lieru n g für die Begründung vonTrainings. Dass in der Praxis Kom m u nikationstrainings nicht im m er aufGrund ein er zielgerich teten Bedarfsfeststellung zu Stande kom m en , son dern auch ein e F olge anderer M a ß n a h m en sein können, zeigt das nachfolgen d e Beispiel.Vor einiger Zeit entwickelte ein großes Unternehmen der Baubranche eineImagebroschüre, um zur Fachkräfterekrutierung gezielt Absolventen von Universitäten und Fachhochschulen mit betriebswirtschaftlicher Ausbildung anzusprechen. Die Broschüre wurde auf Messen verteilt und auch im Unternehmenflächendeckend verbreitet. Interessierte Absolventen sollten so ohne größereBeispiel fürTrainingsanlässe359

Schwierigkeiten an diese für sie relevanten Informationen herankommen, umgezielt mit dem Unternehmen in Kontakt treten zu können. Das Unternehmensuchte gleichzeitig nach einer Möglichkeit, die Effektivität und Wirkung dieserImage-Initiative zu überprüfen, und interessierte sich dabei auch dafür, wie dieMitarbeiter der einzelnen Niederlassungen die Broschüre und das Unternehmen am Telefon präsentieren. Das Unternehmen beauftragte einen Gesprächsforscher - Reinhold Schmitt - mit der Konzeption, Durchführung und Evaluation dieser Effektivitätsprüfung. Dies führte zur Studie „Unternehmenspräsentation am Telefon". Ihre Ergebnisse veranlassten die Verantwortlichen dann,die Mitarbeiter in Kundenorientierung und Untemehmenspräsentation zuschulen.K o m m t es zur D u rchfü hru ng eines gesprächsanalytisch fu n d ierten Trainings,lässt sich der Arbeitsprozess als A b fo lg evonv ie rSchrittenbeschreiben, w ie sie in den Abschnitten 4.2 bis 4.5 dargestellt w erd en(zu r K o n zep tion v o n gesprächsanalytischen Trainings vgl. auch Reuter2003).4.2Schritt 1:Dokumentationder kommunikativen PraxisBedarfserfassung: Erstellung einer DatenbasisIn ein em ersten Schritt w ird die in Frage stehende k om m u n ik ative Praxism öglichst authentisch und in ausreichendem U m fan g dokum entiert.Zunächst w ird also ein e Datenbasis erstellt, die als em pirische Grundlagefür eine Bedarfsanalyse dient. Gesprächsaufnahm en, in denen der k o m m u n ikative Arbeitsalltag d oku m en tiert ist, stellen eine zentrale Voraussetzung für gesprächsanalytische Kom m unikationstrainings dar. Sie k ö n n en durch andere Form en der Problem erku ndu ng ergänzt w erd en (z.B.B eschreibungen der Problem e durch die B eteiligten, teiln eh m en d e B eobachtung, Vorw issen über typische Problem e aufgrund vorh an d en er g e sprächsanalytischer U ntersuchungen od er die V erw en d u n g v o n A u fn a h m en des gleichen Gesprächstyps, die analoge K om m u n ikation sproblem ezeigen, aber aus ein em anderen Zusam m enhang stam m en), sind durchdiese jed och nicht zu ersetzen. Ergänzend zu den A u fzeich n u n gen machtsich der Trainer v o r Ort m it der Einbettung der Gespräche in den institution eilen R ahm en vertraut.Beispiel fürBedarfserfassung360Ein Betriebswirtschaftsstudent (also ein Mitglied der anvisierten Zielgruppe)sollte in den verschiedenen Zentralen der Niederlassungen anrufen und sichdort ganz allgemein nach Arbeitsmöglichkeiten für Betriebswirte im Unternehmen erkundigen. Die Mitarbeiter des Unternehmens wurden durch diebeschriebene Telefonaktion im Rahmen ihres Arbeitsalltages in die Situationgebracht, über die Imagebroschüre Auskunft zu geben, um zu sehen, wie siedabei das Unternehmen präsentierten. Die entstandenen Gespräche wurdenaufgezeichnet und verschriftlicht. Da alle wichtigen Niederlassungen des Unternehmens einbezogen wurden, entstand ein repräsentativer Überblick, der dieUntersuchung typischer Gesprächsverläufe, charakteristischer Probleme undMissverständnisse sowie prototypischer Formen der Kundenorientierung undUnternehmenspräsentation der Mitarbeiter am Telefon ermöglichte.

Analyse: Identifikation von Kommunikationsproblemenund besonders gelungenen Lösungen4.3Der zw eite Schritt besteht in der A nalyse der aufgezeichneten Daten. DieGespräche w erd en dazu verschriftlicht und stellen als Transkripte dieGrundlage einerseits für die Identifikation v o n Sprach- und K om m u n ik a -Schritt 2:Analyse der Datentionsproblem en und andererseits fü r besonders gelu ngene Lösungen dar.Diese Problem e w erd en anhand der Transkripte herauspräpariert, w o b eidas gesam te gesprächsanalytische W issen über K om m u n ikation sproblem e, die für bestim m te Gesprächsform en und -aufgaben charakteristischsind, im H intergrund steht. Die V erw endu ng von Transkripten spielt einezentrale Rolle. Durch sie unterscheidet sich die Arbeitsw eise der angew an dten Gesprächsforschung w esentlich v o n anderen Trainingskonzeptionen. Transkripte sind die „Z eitlu pe" und das „M ik rosk op " des G esprächsanalytikers, m it deren H ilfe so w oh l die Entstehung w ie auch dieAu sw irku ngen v o n Sprach- und K om m u nikationsproblem en detailliertund systematisch untersucht w erd en können. Transkripte leisten w ie keinanderes Instrum ent eine V ergegen w ärtigu n g des k om m u n ikativen G eschehens und m achen es so reflektierbar.D ie A n a lyse des Gesprächsm aterials erfo lg t zeitlich v o r d em Training,um Problem e, die m it A d -h o c -A n a ly s e n v o n nicht dok u m en tierten undnicht versch riftlich ten Gesprächen zw an gsläu fig verb u n d en sind, zu v e r m eid en (w ie z.B . oberflächliche, ein seitige od er zu grobe In terp reta tio n en ).Die Diagnose v o n Sprach- und K om m u n ikation sproblem en verläu ft alsDreischritt:Diagnose vonKommunikationsprob/emen1. Ein faktisches K om m u n ik ation sverh alten w ird m it Vorstellungen v e r glichen, w ie K om m u n ik ation sein sollte, und dabei an Z ielvorstellu n gen und N o rm en fü r kom m u nikatives V erhalten gemessen.2. Eine Diskrepanz w ird registriert: Das faktische K om m u n ik a tion sverhalten w eich t v o n den N orm Vorstellungen ab.3. Die Diskrepanz w ird n ega tiv bew ertet.Durch die n ega tive B ew ertu n g g e w in n t das in Frage stehende K o m m u n ikation sverh alten den Status eines K om m u n ikation sproblem s. Z u gleich erzeu gt die n ega tive B ew ertu n g dieser D iskrepanz die M o tiv a tio nzur Lösung des Problem s. K om m u n ik a tion sp rob lem e sind ein spezifischer Typ v o n Problem en . Es ist bereits ein e w esen tlich e analytischeEntscheidung, ob m an ein Problem als eines der K om m u n ik ation oderals eines der Persönlichkeit, der sozialen B ezieh u n g od er der A rb eitsorganisation klassifiziert.Die A nalyse der aufgezeichneten Gespräche zielt w en iger auf singuläreoder ü berw iegend persönliche Problem e der Interaktionsbeteiligten ab,sondern vielm eh r auf überindividuelle strukturelle Problem e bei der R ealisierung kom m u n ikativer A u fgaben im R ahm en spezifischer Situationen.Die V orgehensw eise bei der Iden tifik ation v o n K om m u n ik ation sprob lem en lässt sich am Beispiel „D ie Zentrale und der ,K om m issar'" aus361

der Studie zur U nternehm enspräsentation dem onstrieren. Zum Verständnis der A n alyse ist es nötig, das Transkript genau zu lesen. Eine detaillierte A nalyse des Gesprächs findet sich in Fiehler/Schm itt (200 2 ). DasBeispiel zeigt typische Unterlassungen und Fehler, die auch in vielenanderen Gesprächen im R ahm en der Studie zu beobachten w aren, undist insofern eine ergiebige Quelle, um strukturelle Aspekte und system atische A n ford eru n gen v o n K u n d en orien tieru n g zu verdeu tlichen.D ie A n alyse zielt aber nicht nur auf die Herausarbeitung v o n K o m m u n ikation sproblem en ab. E rgänzend gilt die A u fm erk sa m k eit auchV erhaltensw eisen, die besonders gelu n gen sind. A n ih n en lässt sich z e igen, w e lc h e Verfahren und Strategien bei der B earbeitung v o n G e sprächsaufgaben p ositive W irk u n gen und B ew ertu n g en haben und w o r auf diese W irk u n gen und B ew ertu n gen im E in zeln en beruhen. Dies sollh ier im Folgen d en an dem Transkript „D ie Zentrale und der K o m m is sar'" illustriert w erd en .T ran sk rip tD ie Z en trale u n d d e r „K om m issar"AN:ZE:MI:AnruferMitarbeiterin in der ZentraleMitarbeiter („Der Kommissar")Teil 1: Die Z en traleIdentifizierungund BegrüßungIm Unternehmen klingelt das Telefon (und zwar genau 4,5 Sekunden lang).Das Warten des Anrufers wird durch eine Frauenstimme beendet, die zunächstdas Unternehmen identifiziert und anschließend den Anrufer grüßt:01ZE:(4,5) halbmann und meyer guten tagWir sprechen hier von einer „Frauenstimme", weil die Gesprächsteilnehmerin sich selbst nicht mit Namen vorstellt. Die Person tritt vollkommen in denHintergrund, die Stimme agiert nur funktional. Sie ist die erste Vertreterindes Unternehmens, mit der der Anrufer Kontakt bekommt. Solche Erstkontakte sind hochgradig wichtig, da sie das nachfolgende Geschehen weitgehend vorstrukturieren und die Grundlage für Sympathie oder Antipathiesind. Eine solche Sicht entspricht auch dem Selbstverständnis vieler Unternehmen: „Visitenkarte des Unternehmens" und andere blumige Beschreibungen werden als Kennzeichnung für die Bedeutung der Telefonzentraleherangezogen. Die Visitenkarte dieses Unternehmens jedoch ist namenlosund unpersönlich. Anschließend wartet sie ab, bis der Anrufer sein Anliegenformuliert N:ja schönen guten tag schulz am apparat (.)ich hätte gerne eine auskunft (.)äh ich habe betriebswirtschaft studiert und hab meinStudium mit dem diplom abgeschlossen (.) und wollte michjetzt mal erkundigen (.) welche arbeitsmöglichkeiten es beiihnen imunternehmen für betriebswirte gibtja ich verbinde malja(15,0)

Nach der Anliegensformulierung meldet sich die „Frauenstimme" wiederund sagt: „ja ich verbinde mal" (Zeile 08). Dies verdeutlicht, dass die Mitarbeiterin, der die Stimme gehört, ihrem Selbstverständnis nach in ersterLinie dazu da ist, Anrufer zu verbinden. M ehr tut sie nicht, obwohl sie imSinne der Dienstleistungsphilosophie des Unternehmens einiges mehr tunkönnte und auch sollte. „W ir konkurrieren nicht mehr mit der Qualitätunserer Produkte, sondern w ir konkurrieren mit der Qualität unserer M itarbeiter" ist eine der geflügelten Formulierungen in Untemehmensphilosophien. Dabei ist ein wesentliches Element der Mitarbeiterqualität derenKommunikationsbereitschaft und Kommunikationsfähigkeit. Der einzigeDienst, den die „Frauenstimme" jedoch dem Anrufer hier leistet, ist dieAuskunft, dass sie verbinden wird, und das anschließende Herstellen derVerbindung.Bezogen auf das Grundverständnis, das die Gesprächsforschung von Interaktion als einer gemeinschaftlichen Hervorbringung aller Beteiligten hat,verhält sich die „Frauenstimme" erkennbar unkooperativ, und sie ist keineaktive Hörerin. Als aktive Hörerin hätte sie die vom Anrufer produziertenPausen als Reaktionsangebote genutzt und dessen sich entwickelnde Äußerung kontinuierlich mit Rückmeldungen begleitet. Bleiben solche Rückmeldungen über längere Zeit aus, führt das auf der Seite des Sprechers zuIrritation und Verunsicherung und zu negativen Annahmen über seinenAdressaten.Der Anrufer weiß zwar auf Grund des „ja ich verbinde mal" (Zeile 08) der„Frauenstimme", dass er verbunden wird, er weiß jedoch nicht, in welcheAbteilung er verbunden und w er sein nächster Gesprächspartner sein wird.Die „Frauenstimme" sorgt nicht für die mögliche oder nötige Transparenzdes weiteren Geschehens. Dem Anrufer bleibt nichts anderes übrig, als amHörer zu warten und der Dinge zu harren, die da kommen werden.Die Bilanz für die „Frauenstimme" und das durch sie vertretene Unternehmen fällt nicht eben günstig aus. In positiver Hinsicht bleibt lediglich festzuhalten, dass sie den Anrufer tatsächlich weiterleitet. In negativer Hinsichtsind jedoch folgende Punkte zu vermerken: ihre passive Gesprächsbeteiligung, ihr gänzlicher Verzicht auf positive Beziehungsgestaltung und dieungenügende Transparenz hinsichtlich ihrer Tätigkeit. TransparenzTeil 2 : Der AN:AN:AN:AN:AN:Ml:Ml:AN:AN:Ml:Ml:altguten tag ( . ) schulz am apparat ( . ) [ich] hätte gern ( . )[ja]äh eine auskunft (.) und zwar habe ich betriebswirtschaftstudiert und hab mein Studium mit dem diplom abgeschlossen (.)ich wollte mich jetzt mal erkundigen (.)welche arbeitsmöglichkeiten es bei ihnen im unternehmenfür betriebswirte gibt«streng und mit Nachdruck wie kommen sie denn jetzt anunser unternehmen? (2,0)ich bin dabei mich äh beruflich zu orientierenzu orientiern- und [hab so][JA wie] KOMmen sie an unserunternehmen jetzt das ist die frage ((lacht kurz))363

Ml:Ml:AN:Ml:AN:Ml:Ml:AN:Ml:AN:Ml:AN:Ml:AN:Ml:Ml:ja ich hab interesse äh an der äh der bauwirtschaftund hab gehört (.) von kommilitonen dass im bausektorverstärkt betriebswirte eingesetzt werdenmhm SO äh ja ich wollte ein bisschenhintergrundinformation haben«imitiert den Anrufer ich habe gehört von kommilitonen dass (.)es ist jetzt die fragehier in x-stadt stellen wir keine betriebswirte einsie stellen [keine][wir haben] keine servicebereichejadie sind alle in b-stadt in der hauptverwaltungjadort sind betriebswirte tätig die also in den servicebereichensind die auch in den abteilungsbereichen sindjawir haben hier die klassische form der BAUkaufleutejadas ist also eine PRAKtische ausbildung«leicht herrisch WO haben sie (.)studiert und welches examen haben sie? (.)ich war in äh ludwigshafenjaund äh also das examen ist sehr gut [also][mhm ] mhm undsie haben in ludwigshafen was studiert fachhochschule oderja fach/ fachhoch[schule ][fachhochjschulehaben sie irgendwie unterlagen oder einen prospekt den sie mir[zuschicken könnten][nö: hab ich nicht ] hier in x-stadt da sollten sie sichan unsre hauptverwaltung b-stadt wendenjadie hauptverwaltung b-stadt kann ihnen bestimmtda einiges an unterlagen zusendenjawas zu ihrer entscheidungsfindung notwendig istja könnten sie mir da einen ansprechpartner gebenja ich würde mal sagen die Personalabteilung (.)den herrn osthoff (1,5)den namen hab ich nicht verstanden[«gequält OSThoff ][tut mir leid] osthoff jamhmokaynö und da ist auch der sitz der hauptverwaltungjaund wenn also betriebswirte eingestellt werdennur in der hauptverwaltung

74757677AN:Ml:AN:Ml:okay haben sie vielen dankja bitte schönwiederhörengut wiederhörenDer Mitarbeiter, der das Warten des Anru

linguistisches Programmieren etc.), Pädagogik und SprechtWissenschaft bis hin zur Linguistik, insbesondere in Gestalt der angewandten Ge-sprächsforschung. Sie befriedigen die Nachfrage mit Kursen, Seminaren und Trainings, durch verschiedene Formen von Beratung (z.B. Coaching) oder durch Ratgeberliteratur (vgl. Bremerich-Vos 1991; Antos 1996), die zum Selbststudium gedacht ist. Die Angebote .