A.Grünschloß - Scientology-Beitrag, - GWDG

Transcription

A.Grünschloß – Scientology-Beitrag, Christentum und Religionen (TLL5, 2009)4Hg. v. Lachmann und Rothgangel, Göttingen --- erscheint 20102) Religionswissenschaftliche Einschätzung und theologische Beurteilung2.1. Religionswissenschaftliche Perspektiven auf Scientology11Schon die grundlegende Frage, ob SC überhaupt als „Religion“ bzw.Religionsgemeinschaft anzusehen sei, ist oft umstritten12 – auch injuristischen Stellungnahmen.13 Nach wie vor existiert kein solidesStandardwerk aus religionswissenschaftlicher Perspektive, das inkompetenter und umsichtiger Form alle hierzu relevanten Innen- undAußenperspektiven vorstellt und analysiert.14 Veröffentlichungen aussozialpolitischen und theologisch-kirchlichen Kontexten neigen dazu,den Religionscharakter von SC zu bestreiten, während religionssoziologische und religionswissenschaftliche Einschätzungen SC eher einenreligiösen Status zubilligen, aber zu dieser Tendenz gibt es auch gegenläufige Beispiele.15 – Untauglich und intellektuell unredlich sinddie Versuche, die Verweigerung des Religions-labels mit der terminologische Flucht in andere – stigmatisierende – Begriffe zu dramatisieren: weder die Begriffe „Sekte“16 oder „Magie“17 noch die Charakteri11Vgl. meine SC-Überblicke in RGG4 VII (2004), 1079f und TRT5 III (2008) 1075f.Vgl. die Sammlung „positiver“ religionssoziologischer und religionswissenschaftlicher Gutachten in der Publikation von Church of Scientology International (Hg),Scientology – Lehre und Ausübung einer modernen Religion. Ein Überblick ausreligionswissenschaftlicher Sicht. Kopenhagen 1998; sowie „negativ“ Werner Thiede, „Den Religionsbegriff differenziert anwenden. Warum die Einschätzung vonScientology als Religion problematisch bleibt“, in: EvTheol 60 (2000), 270–278.13Vgl. z.B. Arnd Diringer, Scientology. Verbotsmöglichkeiten einer verfassungsfeindlichen Bekenntnisgemeinschaft. Frankfurt am Main u.a. 2003; Raik Werner,Scientology im Spiegel des Rechts. Strukturen einer subkulturellen Ordnung zwischen Konformität und Konflikt mit den staatlichen Normen. München 2002.14Vgl. jetzt seit längerer Zeit erstmals James R. Lewis, Scientology. Oxford 2009. –Zuvor konnte nur die ältere religionssoziologische Studie von Roy Wallis, The Roadto Total Freedom. A Sociological Analysis of Scientology, London 1976, als umfassend-seriöse (religions)wissenschaftliche Durchdringung des SC-Themas gelten.15(positiv) Marco Frenschkowski, „Den Religionsbegriff rein halten? Thesen undBeobachtungen zur Debatte um Scientology und anderer Neuer Religiöser Bewegungen“, in: EvTheol 60 (2000), 257–269; (negativ) Benjamin Beit-Hallahmi, „Scientology: Religion or Racket?”, in: Marburg Journal of Religion 8 (2000:1), haft/journal/mjr/beit.html], Stephen A.Kent, “Scientology – Is this a Religion?”, in: Marburg Journal of Religion 4(1999:1) ournal/mjr/kent.html].16„Sekten“ oder „cults“ sind ebenfalls Ausprägungen von Religion; vgl. den sehrguten Überblick zu churches, sects, cults bei Lorne Dawson, Comprehending Cults.The Sociology of New Religious Movements. Oxford 22006; vgl. Endbericht, 17–22.17Vgl. zu der – religionswissenschaftlich längst überholten(!) – Anwendung desMagiebegriffs auf SC v.a. Friedrich-Wilhelm Haack, Scientology. Magie des 20.Jahrhunderts, München 31995, und in seinem Gefolge Werner Thiede, Scientology –Religion oder Geistesmagie? Neukirchen/Vluyn 22002.12

A.Grünschloß – Scientology-Beitrag, Christentum und Religionen (TLL5, 2009)5sierung als „Wirtschaftsunternehmen“/„Konzern“18 eignen sich alsselbsterklärende Leitdifferenzen gegenüber dem (zu verweigernden)Religionsbegriff – von der unsinnigen, aber offenbar unausrottbarenEtikettierung „Jugendsekte/-religion“ einmal ganz zu schweigen.2.1.1 Dianetik als ‚therapeutische’ Grundlage und ScientologyIn seinem Dianetik-Buch (1950)19 hat Hubbard einen (alternativ-) therapeutischen Interventionsansatz vorgelegt, der im ‚Durcharbeiten’traumatischer Erinnerungsgehalte (sog. „Engramme“) eine tiefgehende Befreiung und „Heilung“ des Menschen verspricht und für das gesamte scientologische „Processing“ grundlegend ist. Die Leitvorstellung von Hubbards Salutogenese besteht darin, während therapieartiger Sitzungen (sog. „Auditing“) sukzessiv alle negativen Gedächtnisinhalte des „reaktiven Verstandes“ (reactive mind) zu löschen, bisder normale Verstand (analytic mind) wieder „clear“ ist: d.h., unbehindert und perfekt funktionieren kann, da er nun nicht mehr – so diePathogenese – von heimtückischen, unbewussten Störungen aus derreaktiven „Speicherbank“ mit ihren Traumata heimgesucht wird. DieSkizze verdeutlicht Hubbards Interventionsmodell der Dianetik.20Die Kritik von professioneller medizinischer und psychologischerSeite war vernichtend: Hubbard wurden Dilletantismus, plumper Biologismus und unzulässige Simplifizierungen tiefenpsychologischer18Religion und dezidierte wirtschaftliche oder politische Ambitionen schließen sichempirisch nicht aus (vgl. aus neureligiösen Kontexten z.B. die Soka Gakkai).19L. Ron Hubbard, Dianetik – der Leitfaden für den menschlichen Verstand [Originaltitel 1950: Dianetics: The Modern Science of Mental Health], Kopenhagen 2007.20Vgl. hierzu bereits die etwas ausführlichere Darstellung in meinem Aufsatz, „‘ToGet Ethics in’ – Ethik, Religion und Organisation bei Scientology“, in: MichaelUtsch (Hg), Wie gefährlich ist Scientology? EZW-Texte 197, Berlin 2008, 21–58.

A.Grünschloß – Scientology-Beitrag, Christentum und Religionen (TLL5, 2009)6Ideen vorgeworfen („Psychoanalyse für Arme“), aber auch sein technizistisches Menschenbild (vgl. Hubbard: „Bei einer Ingenieurwissenschaft wie der Dianetik können wir auf Knopfdruckbasis arbeiten“21).Die Wende zur Religion hat Hubbard in den Jahren 1952–55 in dereigentlichen Lehre der „Scientology“22 vollzogen. Für den religiösenCharakter spricht eine mythologisch neu begründete Anthropologie,die den Menschen nicht nur, wie in der Dianetik, in Körper (body) undVerstand (mind) unterteilt, sondern ihn primär als ein „geistiges Wesen“ versteht. Dieser geistige Kern des Menschen wird „Thetan“ genannt und hat die Funktion einer unsterblichen ‚Seele’, die Jahrmillionen früherer Leben in diesem Sektor des Universums hinter sich hat.23Entsprechend wird das dianetische „Auditing“ entlang einer Lebensbahn nun zu einer Art ‚Reinkarnationstherapie’ erweitert, dennnun müssen alle traumatischen Erinnerungen auf der „Gesamtzeitspur“ (whole track) konfrontiert und aufgearbeitet werden, bis derMensch zu einem wahrhaft befreiten sog. „Operierenden Thetan“(OT) werden kann. Eine „unendliche Analyse“ (Freud) eröffnet sich,zu deren Umsetzung ein beitragspflichtiges Kurssystem entwickeltwurde, das in aufeinander aufbauenden Einweihungsschulungen „fähigere“ und erfolgreichere Individuen hervorbringen soll: die „Brückezur völligen Freiheit“.24 – Als technisches Hilfsmittel wurde das „EMeter“ integriert, das auf der Messung des galvanischen Hautwiderstands (GSR) basiert,25 laut SC jedoch in der Lage sein soll, die „Ladung“ und „Energie“ der gespeicherten Traumata entlang des (Tonband- bzw. Film-artig konzipierten) Gedächtnisses zu lokalisieren.21L. Ron Hubbard, Dianetik 2007, 279 (vgl. bis 282). Hubbard hat die gesamteDianetik als „Ingenieurarbeit“ konzipiert (ebd. 3), wodurch der Mensch und seinekomplexe Persönlichkeit auf eine computerartige Maschine reduziert werden.22Vgl. v.a. L. Ron Hubbards, Scientology: Die Grundlagen des Denkens [Original1956], zuletzt Kopenhagen 2007. – Eine spannende Station ist die Idee eines theologischen Abschlusses: ders., „Why Doctor of Divinity?“ [1954], in: The TechnicalBulletins of Dianetics and Scientology, Vol. II (1954–56), Kopenhagen 1976, 71–74.23Vgl. hierzu die Publikation L. Ron Hubbard, Haben Sie vor diesem Leben gelebt?Eine wissenschaftliche Untersuchung, eine Studie über den Tod und den Nachweisfrüherer Leben. [Original 1960] Kopenhagen 1987, die mit einer Vielzahl von „Erinnerungen“ – wohl eher Narrationen aufgrund gelenkter Phantasien – an frühereLeben aus der Auditing-Praxis aufwartet (einige Beispiele hieraus könnten auch gutim RU aufgegriffen werden: um die Frage zu diskutieren, weshalb solche Rückführungs-Sitzungen für Akteure attraktiv, plausibel oder eindrücklich sein könnten).24Vgl. die aktuelle Selbstdarstellung, Church of Scientology International (Hg), Wasist Scientology? Kopenhagen 1998 [im Internet: http://wasist.scientology.de], (Kap.4–6), vgl. darin auch die „Gradkarte“ als Übersicht zu den Clear- und OT-Stadien.25Sehr gute Hinweise zu Aufbau, Funktionsweise und Geschichte des E-Metersfinden sich z.B. bei www.emeter.de/html/historische entwicklung.html.

A.Grünschloß – Scientology-Beitrag, Christentum und Religionen (TLL5, 2009)72.1.2 Zur Frage des religiösen Charakters von ScientologyHandelt es sich um Religion oder um Therapie? – Diese Frage istnicht einfach zu beantworten, da SC in einem Kontext analoger esoterisch-therapeutischer Ansätze zu verorten ist, die ähnliche ‚Mischformen’ zwischen therapeutischen und religiösen Elementen vertretenund sich ebenfalls ganz unterschiedlich positionieren.26 Hubbard nahmvereinzelt Impulse aus der damaligen Esoterik und tiefenpsychologische Anleihen auf, integrierte das bereits vor ihm entwickelte E-Meterund synthetisierte daraus ein therapeutisches Interventionsmodell, wiees sich in ähnlicher Weise bis heute in vielen Sektoren von Esoterikund alternativen Therapie-Milieus als erfolgreich und marktfähig erwiesen hat. Offenbar wirkte SC auch auf die Entwicklung vieler analoger Ansätze zurück, die z.T. von ehemaligen Scientologen oder Mitgliedern in Netzwerken der sog. „Freien Zone“ entwickelt wurden.27Neben der SC-Kirche entstanden nämlich von Anbeginn an abtrünnige, eigenständige Gruppen und Gemeinschaften, die sich zunehmend in Netzwerken zusammenschlossen und in einen heftigen Streit mit der etablierten SC-Kirche umdie wahre Authentizität versus illegitime Abweichung verwickelt sind: Diese„freien“ SC-VertreterInnen sehen sich als die Traditionshüter von Hubbardswahren Intentionen, wobei sie – mitunter nahezu fundamentalismusartig – derSC-Kirche Abfall und Verrat unterstellen28, u.a. mit der Verschwörungstheorieeiner Unterwanderung der heutigen SC-Kirche durch übelwollende Agenten.Umgekehrt betrachtet die SC-Kirche diese abtrünnigen Alternativen als „aberrierte“ Häretiker (sog. „Squirrels“). Auch in diesen „freien“ SC-Milieus29 wirddie Frage nach dem religiösen Charakter oftmals unterschiedlich beantwortet.Für die ‚Religionshaftigkeit’ von SC spricht also die o.a. Seelenkonzeption und die damit verbundene Wiedergeburtsvorstellung. Außerdem wird Hubbard intern in vielfältiger Weise als Religionsstifter stilisiert, denn ein Großteil der SC-internen biographischen Narrationenentpuppt sich bei näherem Hinsehen als hagiographisierende Übertreibung (Hubbard als Universalgenie): Scientolog(inn)en erweisensich in ihrer Meisterverehrung als „fromme“ Hubbard-Anhänger. Einweiteres Indiz ist die massive Sakraskripuralisierung des „technologi26In Deutschland wäre v.a. Thorwald Detlefsens „Reinkarnationstherapie“ zu nennen oder das von Ulrich Kramer vertretene „MindWalking“ (www.mindwalking.de).Beide operieren mit analogen Vorstellungen einer therapeutischen „Rückführung“zur Heilung virulenter Störungen aus früheren Leben (z.T. mithilfe von E-Metern).27Vgl. www.freezone.de oder http://de.freiescientologen.de.28Vgl. z.B. die „International Church of Advanced Universal Enlightenment“, diesich auf ihrer Website (www.icause.net) als „Protestant Scientologists” bezeichnenund der SC-Kirche illegitime Änderungen an Hubbards „scripture“ nachsagen.29Hier hat sich v.a. die „Ron’s Org“ zu einem international erfolgreich agierendenNetzwerk entwickelt; vgl. http://rons-org.de, www.ronsorg.ch, http://saentolog.ru.

A.Grünschloß – Scientology-Beitrag, Christentum und Religionen (TLL5, 2009)8schen“ Kanons, der mittlerweile auf Stahlplatten eingraviert undatombombensicher in Titanboxen in einem unterirdischen Bunkereingelagert wurde. Außerdem wurden seit der Gründung der „Churchof Scientology“ (1954) spezielle Übergangsriten entwickelt (Namengebung, Heirat und Tod). Diese rituellen Sequenzen – aber auch diesog. Sunday Services, bei denen v.a. Schemapredigten Hubbards verlesen werden30 – spielen jedoch keine dominante Rolle. Im Vordergrund steht eindeutig der Vertrieb der therapieartigen Dienstleistungsprodukte, die als Kurse oder Einzel-Auditing angeboten werden.Damit verbinden sich häufig nachdrückliche bis harte Verkaufstaktiken, mit denen Kursabsolvent(inn)en zur Abnahme weiterer Dienstleistungsprodukte gedrängt werden. Die Tendenz zur maximalen Einbindung der Mitglieder, die v.a.im Blick auf den internen Mitarbeiterstab häufig berichtet wurden,31 und dieseauffälligen Versuche zur Vertriebssteigerung haben SC den negativen Ruf eines„Psycho-Konzerns“ eingebracht, der primär und einseitig auf Gewinnmaximierung abgestellt sei. Die Existenz solcher harten Verkaufstaktiken ist nicht anzuzweifeln, dafür existieren zu viele entsprechende Berichte, es muss jedoch davonausgegangen werden, dass viele Niederlassungen weniger rigide agieren. VieleSC-Mitglieder partizipieren nämlich – entgegen den landläufigen Totalitarismusund Gehirnwäschetheoremen – eher ‚volkskirchlich’: also mehr oder weniger(un)regelmäßig und freiwillig. Das bedeutet übrigens auch, dass SC bei diesenMenschen tatsächlich ‚therapeutische Effekte’ erzielt hat – bzw., dass sie positive Kraft aus dem Auditing ziehen, sonst würden sie SC nicht treu bleiben.Hinsichtlich der Religionsproblematik kommt erschwerend hinzu,dass sich SC nicht mit einem einheitlichen Bild positioniert: An dereinen Front wird der Rekurs auf den (gänzlich unbestimmten) Gottesbegriff in den Vordergrund gespielt, um z.B. besonders christentumskompatibel zu erscheinen, an anderer Stelle streicht man den „rationalen“, „wissenschaftlichen“ und auf Hubbards „Forschung“ beruhendenCharakter von SC heraus, um aufklärungskompatibel und modernpost-religiös zu erscheinen, während andererseits wieder die Nähezum exotisch-positiv attribuierten Buddhismus beschworen wird32(Hubbard hat sich in seinem „Hymn of Asia“33 sogar als zukünftigerBuddha stilisiert). Andererseits offenbaren manche der nicht öffentlichzugänglichen Dokumente Hubbards einen sehr religionskritischen30Hierzu existiert eine eigene Agende: New Era Publications (Hg), Ursprung, geistliches Amt, Zeremonien und Predigten der Scientology Religion, Kopenhagen 1999.31Vgl. Wallis, The Road to Total Freedom, 134ff; A. Grünschloß, „‘To Get Ethicsin’ .“, 50–56 (Abs. 3: „Bürokratische Ausdifferenzierung einer Supertheorie“).32Vgl. die Einleitung zum Handbuch für den ehrenamtlichen Geistlichen [Originaltitel 1976: The Volunteer Minister’s Handbook]. Kopenhagen 1980.33L. Ron Hubbard, Hymn of Asia. Los Angeles: CSI Golden Era Productions & L.Ron Hubbard Library, 2000 (Textausgabe plus Musikvertonung auf Audio-CD).

A.Grünschloß – Scientology-Beitrag, Christentum und Religionen (TLL5, 2009)9Tenor: Die religiösen Vorstellungen der Menschheit seien nur künstliche „Implantate“ aus einer grauen Vorzeit, von denen ständig Verwirrung ausgeht und derer man sich daher nachhaltig entledigen muss.34Ein zunehmend freier, operierender Thetan benötigt keine Religion,geht es doch nur darum, ein „besseres Spiel zu spielen“35 – d.h.: effektiver, mächtiger, erfolgreicher zu sein. Diese immanenten Folgen werden in der Werbung regelmäßig angepriesen, Anspielungen auf eineirgendwie geartete religiöse Befreiungserfahrung sind dagegen randständig – abgesehen von der Idee, dass der befreite Thetan gewissepara-normale Fähigkeiten36 zurückerlangen könne. – Hubbard formulierte zudem stramm exklusive Überlegenheitsansprüche: SC sei diealle Probleme der Menschheit lösende ‚Supertheorie’, die für jedenLebensbereich den Schlüssel zum besseren „Überleben“ enthält.Zusammenfassung. – Die Pro- und Contra-Argumente zum Religionscharakter können gut in der synoptischen Übersicht37 abgebildet werden (analog lässt sich das Thema auch im Unterricht sinnvoll aufgreifen). – Manche Vorstellungen von SC weisen durchaus religiöse Elemente auf, und dies immer noch bestreiten zu wollen, ist nicht sach34Der berühmteste (interne) Text hierzu ist Hubbards HCO-Bulletin vom 11. Mai1963: Titel „Routine 3 – Heaven“ (glaubwürdige Kopien zirkulieren im Internet).35Das ist das Ziel von SC laut Hubbard, Scientology: Grundlagen des Denkens, 107.36Vgl. A. Grünschloß, „Die Konstruktion des ‚para-normalen’ Menschen. Übermenschliche Fähigkeiten als Bestandteil religiöser Anthropologien“, in: EilertHerms (Hg.), Menschenbild und Menschenwürde. (VWGTh 17) Gütersloh 2001,497–528 (vgl. hier v.a. 516–525, über die paranormalen Kräfte bei SC).37Vgl. zu dieser Übersicht bereits Grünschloß, „‘To Get Ethics in’ .“, 26–30.

A.Grünschloß – Scientology-Beitrag, Christentum und Religionen (TLL5, 2009)10haltig, sondern unglaubwürdig.38 Angesichts des therapeutischenGrundansatzes wird man SC dennoch in erster Linie als ein alternativtherapeutisches Dienstleistungsunternehmen mit Produkten im Lebenshilfebereich anzusehen haben.39 Die Dienstleistungsprodukte sindvielseitig und nicht nur dem religiösen Sektor zuzuweisen: Mit demFokus auf eine technische Handhabbarkeit – gerade auch spirituellerGegenstände – und auf innerweltlichen Erfolg gehört SC eher zu den„entzauberten“, post-religiösen Bewegungen der Gegenwart. SC unterscheidet sich von herkömmlichen Religionen v.a. dadurch, dass die‚religiösen’ oder ‚spirituellen’ Inhalte völlig machbar, technologischherstellbar und kontrollierbar erscheinen – vermittelt über ein verhaltenskybernetisches System, das zugleich als „religiöse Technologie“,„angewandte Philosophie“ und „Wissenschaft“ auftritt, sich und seineProdukte aber streng als ein „eingetragenes Warenzeichen“ schützt.SC präsentiert sich daher sehr schillernd – wie viele der ähnlich gelagerten Akteure im alternativ- und esoterisch-therapeutischen Spektrum. SC repräsentiert in besonderer Deutlichkeit den „entzauberten“Pol eines breiten Esoterik- und Therapie-Spektrums, der spirituelleElemente, ökonomisches Marktdenken, technisches Weltbild und Religionskritik in eine post-religiöse Synthese amalgamiert. – Im Fazitbietet Scientology im Wesentlichen ein weltanschaulich überhöhtesVerhaltensmodifikationsprogramm40, das an manchen Stellen unbestreitbar religiöse Züge trägt, allerdings ohne darin aufzugehen.2.2. Theologische Perspektiven auf ScientologyIch verlasse in diesem Abschnitt die rein deskriptive Haltung des Religionswissenschaftlers und trete in den methodisch anders akzentuier38Auch der Fokus auf Gewinn, erhöhte „Statistiken“ und eine Produktvertriebsmaximierung (kompetitiv zwischen den SC-Niederlassungen) ändert daran nichts.39Dass dabei auch religiös klingende Vorstellungen mitspielen, promoviert dieOrganisation nicht zur Gänze in den Religions-Status. Die Institution der „Diakonie“steht z.B. auch einem religiösen Weltbild (der evangelischen Kirche) nahe, bietetaber als ökonomisierte Organisation weitaus mehr als nur religiöse Dienstleistungenan, und sie ist keine Religionsgemeinschaft, bei der man Mitglied werden könnte.40Vgl. hierzu ein bedenkenswertes „Sondervotum“ im Endbericht der EnqueteKommission (1998), 159: „Nimmt man das Mensch-Maschine-Modell L. Ron Hubbards ernst, wie er es in seinem Buch Dianetik ausgeführt hat [.], gehört Scientology in den postmodernen Bereich, der Technik und Naturwissenschaft als Ideologiebenutzt, und nicht, wie von den Religionswissenschaftlern weltweit bis heute behauptet wird, in den Bereich von Religion als Glaube. Nach dem eigenen Selbstverständnis Hubbards sieht er sich als Psychoingenieur, der mit Ingenieurtechnik denMensch-Computer neu programmiert und die aus perfekt funktionierenden MenschComputern zur Megamaschine geformte Gesellschaft sozialkybernetisch steuert.“

naltitel 1950: Dianetics: The Modern Science of Mental Health], Kopenhagen 2007. 20 Vgl. hierzu bereits die etwas ausführlichere Darstellung in meinem Aufsatz, „'To Get Ethics in' - Ethik, Religion und Organisation bei Scientology", in: Michael Utsch (Hg), Wie gefährlich ist Scientology? EZW-Texte 197, Berlin 2008, 21-58.