Strukturelle Krisenblindheit Das Kassandra- Syndrom

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managementStrukturelle KrisenblindheitDas Kassandra- SyndromPreview Warnungenund Wahrhabenwollen: Warum vieleKrisen vermeidbar gewesenwären – und warum dasmeistens erst im Nachhin ein erkannt wird Kassandraoder Querulant: Woran sich ernst zunehmende Warner vonUnken und Narzissten un terscheiden lassen Zusammenhängevor Lösungen: Warum Kassand ra-Rufe auch dann beach tenswert sind, wenn sie nurein Problem aufzeigen undnoch keinen Ausweg Disruptionund Ambidextrie: Wie Unternehmen sichauf Krisen vorbereiten kön nen, indem sie widersprüch liche Konzepte verfolgenentwickeln: Sechs Fragen andie eigene Organisation fürmehr KrisenfestigkeitFoto: hasselblad15 /photocase.de Kassandra-Reife36 Heft 271 Oktober 2020

managementKassandra hat einst den Untergang Trojas vorausgesehen, doch niemandglaubte ihr. Ähnlich ergeht es heute oft Mitarbeitenden, die Fehlentwicklungenin ihren Unternehmen anprangern und vor absehbaren Risiken warnen – undignoriert werden. Dabei ließen sich viele Krisen vermeiden oder abmildern,wenn Unternehmen besser auf ihre Kassandras hören würden. Aber wie solldas gehen?„Hätte die Welt nur auf diese Frau gehört“,schreibt der „Spiegel“ am 01.07.2020 überdie Münchner Ärztin Camilla Rothe. Siehatte schon im Januar 2020 einen der erstenHinweise entdeckt, dass Menschen ohne Symptome das Coronavirus übertragen können, doch„die Behörden ignorierten die Beobachtungen“,heißt es in dem Beitrag weiter. Ein folgenreichesVersäumnis, denn wären die Beobachtungenernst genommen worden, hätten die Anti-Corona-Maßnahmen früher greifen können, wenigerMenschen wären infiziert worden, vielleichtwäre der gesamte Verlauf der Pandemie unddes Lockdowns verändert worden. Natürlichist das Spekulation. Dennoch ist im Umgang mitGefahren und aufkommenden Krisen immerwieder ein fatales Muster zu beobachten: Dieeinen warnen, und die anderen wollen es nichtwahrhaben. Und später stellt sich heraus, dassman eine Chance gehabt – und vertan – hat, dieKrise abzuwenden oder zumindest abzumildern.Die Urmutter dieses Klassikers unter denKrisen-Fails ist Kassandra von Troja. Sie wardie Hohepriesterin der Stadt und, so heißtes, dermaßen schön, dass der Gott Apollonsich in sie verliebte und ihr in seinem Werbendie Gabe verlieh, die Zukunft vorauszusehen.Kassandra blieb unbeeindruckt, woraufhin dergekränkte Apollon sie mit einem Fluch belegte:Ihr Schicksal sollte es sein, dass niemand denWahrheiten, die sie sehen und sprechenwürde, glauben sollte. Und so kam es:Sie warnte vergebens vor der List derGriechen und dem Trojanischen Pferd.Ihre Stadt nahm ein fürchterliches –und vermeidbares – Ende.Auch wenn diese Geschichte derMythologie entspringt, hat sie vielReales an sich, auch heute – undnicht nur in Bezug auf Corona.Nachfahren der Kassandra gibt esnämlich auch in Unternehmen, Heft 271 Oktober 202037

managementund auch ihr Fluch, das Kassandra-Syndrom, scheint nach wie vor aktuell: Dennnoch immer werden Warner als Bremseroder Miesepeter abgetan, unbequeme Wahrheiten ausgeblendet, und diejenigen, dieweitsichtig auf neue Entwicklungen oderVeränderungen des Marktes hinweisen,werden mit Hinweis auf aktuelle ErfolgeKassandra, Unke oder Narziss?Kassandra-Rufe können ein Unternehmen vor gravierenden Versäum nissen oder Fehlentwicklungen schützen – wenn es sich um berechtigteKritik oder Ausdruck ernst zu nehmender Befürchtungen handelt. Dochworan erkennt man, wessen Warnungen ernst zu nehmen sind? Wie er kennt eine Führungskraft, ob sie es mit einer echten Kassandra oder ehermit einer Unke oder einem Narziss zu tun hat?Wie erkennt man eine Kassandra?1. Die Kassandra verfolgt keine offensichtlichen persönlichen,egoistischen oder narzisstischen Interessen.2. Die Kassandra ist kooperationsbereit und fordert nicht.3. Mit der Mahnung geht die Idee eines Lösungsansatzes einher.4. Die Lösungen bauen auf einem Fundament auf, sie lassen ein unterneh merisches Denken und Handeln erkennen.5. Die Kassandra ist willens, die Konsequenzen aus dem Problem (und derLösung) mitzutragen.Wie erkennt man eine Unke?1. Unken sind oft schon in der Vergangenheit mit pessimisti schen oder destruktiven Äußerungen aufgefallen.2. Unken können Low Performer sein, die von eigenen Defiziten oder Ver säumnissen ablenken wollen.3. Die Vorhersagen von Unken sind nicht lösungsorientiert.4. Eine Kooperation oder die Bereitschaft zur Unterstützung fehlen.5. Unkenrufe zeugen nicht von Interesse für, sondern von Misstrauengegen das Unternehmen, die Zukunft und handelnden PersonenWie erkennt man einen Narziss?1. Ein Narziss zeichnet sich (wie die gleichnamige Figur dergriechischen Mythologie) vor allem durch Eigenliebe undSelbsbezogenenheit aus.2. Der Fokus seines Handelns liegt auf der eigenen Person, seine War nungen dienen mehr der Selbstinszenierung als der Abwendung einerGefahr.3. Wenn es dem Ruhm und dem eigenen Weiterkommen dient, kann einNarziss rücksichtslos handeln.4. Ein Narziss gibt sich als High Performer, überschätzt dabei aber dieeigenen Fähigkeiten.5. Ein Narziss ist kritiklos von der eigenen Fähigkeit überzeugt, erkennenzu können, wohin es mit der Wirtschaft, dem Unternehmen und der ei genen Person geht.Quelle: www.managerseminare.de, Christian Böhler38oder (angeblich) fehlende Alternativenüberstimmt oder schlicht überhört.Vom Warnen und (Nicht-)WahrhabenwollenDie Frage ist jedoch: Muss das so sein? Odergeht es auch besser? Am Bedarf, besserauf Krisen vorbereitet zu sein, mangeltes jedenfalls nicht, wie viele Unternehmenspleiten vom Schlage Kodak, Quelleund Nokia zeigen, die vielleicht zu verhindern gewesen, mit Sicherheit aber anders abgelaufen wären, wenn absehbareVeränderungen – und mit ihnen Krisendes Status quo – früher adressiert wordenwären. Wenn man den Vorahnungen zumtechnologischen Wandel, zum Aufkommenneuer Wettbewerber, zu einer verändertenStimmung auf dem Markt zugehört hätte.Das Problem ist, dass Unternehmen sich ausmehreren Gründen sehr schwer damit tun,auf Warnungen einzugehen.Der erste Grund ist psychologischer Natur:Kassandras Botschaften sind ihrem Wesennach unangenehm, niemand will sie wirklich hören. Zumal sie in der Regel zu einemZeitpunkt verkündet werden, an dem nochalles in Ordnung erscheint, und den meisten Menschen – wie den Trojanern nachihrem scheinbaren Sieg über die Griechen– nicht der Sinn danach steht, sich die Launeverderben zu lassen. Gleichzeitig lassensich die Warnungen leicht ignorieren, beziehen sie sich doch auf etwas, das nochnicht eingetreten ist, und dessen Eintretennicht sicher ist. Hinzu kommt, dass es fürEntscheider unbequem und sogar gefährlich ist, auf die Vorhersagen einzugehen.Nicht nur weil wirtschaftliche Nachteiledrohen, sollten sich die Warnungen alsunbegründet erweisen, sondern auch, weildie Gegenmaßnahmen oft Veränderungenerforderlich machen, die Angst machen, unddie zum Verlust persönlicher Privilegienund Bedeutung führen könnten.Krisenblinde Strukturen in KonzernenDer zweite Grund hat etwas mit der Neigung von Organisationen zu tun, sich selbstzu bestätigen und eingeschlagene Wegebeizubehalten, wenn sie mal erfolgreichwaren. Was im ungünstigen Fall dazuführen kann, dass Unternehmen trägewerden und blind für mögliche Krisen.Betrachtet man, wie Unternehmen zumBeispiel auf lange bekannte Megatrends Heft 271 Oktober 2020

managementwie die Digitalisierung oder den demografischen Wandel reagieren, kann manjedenfalls leicht den Eindruck gewinnen,dass Ignoranz, Nicht-Wahrhabenwollenund das mutwillige Ausblenden von Gefahren weit verbreitet sind.Ein gutes Beispiel dafür liefern die Energie-Konzerne (ich selbst arbeite bei einem).Die Anbieter auf dem deutschen Markt (undnicht nur dort) sind lange Zeit der Hybriserlegen, Energie sei ein konkurrenzlosesProdukt und sie Monopolisten hinsichtlichder Produktion und des Transportes derEnergie. Ein Irrtum: Die Liberalisierungder Netze, das Unbundling, Fukushima undder durch den Klimawandel erzwungeneAusstieg aus der Stromgewinnung aus fossilen Brennstoffen waren zentimeterweiseDolchstöße für diese Gewissheit und dasdamit verbundene Geschäftsmodell. Alldiesen Drehungen in der Abwärtsspiralegingen Rufe voraus – von Wissenschaftlern,von Verbrauchern, Umweltschützern, deneigenen Experten –, die man aber liebernicht hören wollte. Dabei müssten, wennzu viele Personen in einem Unternehmenbehaupten, das Geschäftsmodell sei solideund alternativlos, allein schon deshalb dieAlarmglocken klingeln.Dabei spielen auch die Eigentumsverhältnisse und Entscheidungswege vor allemgroßer Unternehmen eine Rolle. Genügtes bei kleineren, inhabergeführten Unternehmen oft schon, eine einzige Person voneiner drohenden Gefahr zu überzeugen,haben es Kassandras bei komplex organisierten Konzernen, die stark von Kapital gebern abhängen, schwerer. Man kannsich vorstellen, wie der Aufsichtsrat oderdie Aktionäre eines auf Shareholder Valueausgerichteten Unternehmens auf denVorschlag reagieren würden, ein erfolgreiches Geschäftsmodell über den Haufen zuwerfen. Wahrscheinlich müssten sich dieWarner noch dafür rechtfertigen, dass sieRessourcen auf ein Szenario verwenden,das vielleicht nie eintritt. Selbst wenn alsodas Bewusstsein für die Notwendigkeit vonVeränderungen existiert, können die externen Abhängigkeiten so stark sein, dass dasKassandra-Syndrom – die Krisenblindheitvon Unternehmen – wieder US ROSENGARTENROSENGARTEN COBURGKONGRESSHAUSCOBURG zentrale Lage in Deutschland zentrale Lage in DeutschlandFestsaalLagemit flexiblerBühne zentrale inDeutschland Festsaal mit flexibler Bühnemodernste Tagungstechnik FestsaalmitTagungstechnikflexibler Bühne modernste begrünte DachterrasseTagungstechnik begrünte Dachterrasse modernste begrünte Dachterrasse zentrumsnahe Lage direkt am Rosengarten zentrumsnahe Lage direkt am Rosengarten9 Tagungsräume,flexibelkombinierbar zentrumsnahe Lagedirektam Rosengarten 9 Tagungsräume, flexibel kombinierbarklimatisierte Räume mit Tageslicht 9Tagungsräume,flexibelkombinierbar Räumemit Tageslicht klimatisierte ICE-Bahnhalt, Flughafen Nürnberg 100 kmmit NürnbergTageslicht100 km ICE-Bahnhalt,RäumeFlughafen klimatisierte ICE-Bahnhalt, Flughafen Nürnberg 100 kmWeitere Informationen unter: www.coburg-kongress.deWeitere Informationen unter: www.coburg-kongress.deBerliner Platz 1 96450 Coburg Tel.: 09561 89-830 kongress@coburg.de ress.deBerliner Platz 1 Informationen 96450 Coburg Tel.: 09561 89-830 kongress@coburg.de www.coburg-kongress.de Heft 271 Oktober 202039

Download des Artikels und Tutorials:QR-Code scannen warnungenaktiv nutzenSchon vor Corona gab es Warnungen vor möglichen Pandemien, die aber nicht gehört wurden. Auch in Unternehmen weisen Mitarbeitende oft auf Fehlentwicklungen hin, bevor es zur Krise kommt – und werden ignoriert. Doch es gibt Wege aus der Krisenblindheit.1. Schritt: Krisenblindheit anerkennenKrisen gehen oft Warnrufe voraus, die von Unternehmen undden handelnden Personen aber oft ignoriert werden. Dafür gibtes mehrere Gründe: Warnungen sind für die betroffenen Personen unangenehm,sie sind mit Anstrengungen verbunden und beinhalten mitunterNachteile für die eigene Stellung. Unternehmen neigen zur Selbstbestätigung, zusätzlich sorgtder Fokus auf Shareholder Value und auf kurzfristige Gewinn maximierung dafür, dass Erfolgsrezepte trotz Warnungen nichtangerührt werden. Ob die Mitarbeitenden, die Warnungen aussprechen, ernstzu nehmen sind oder nicht, ist nichtleicht zu bestimmen, die Gefahr desIrrtums (und der damit verbundenenBlamage) ist hoch.Es gibt viele Mechanismen, die Un ternehmen strukturell krisenblindmachen, ein Problem, das es zu nächst anzuerkennen gilt.2. Schritt: Ernst zu nehmendeWarner herausfilternEin möglicher Lösungsansatz be ginnt damit, ernst zu nehmendeWarner herauszufiltern. Grundsätz lich lassen sich drei Typen unter scheiden: Kassandras warnen aus Pflicht gefühl und echter Besorgnis. Sie bleiben nicht beim Problemstehen, sondern denken unternehmerisch und zeigen Interesse,an Lösungen mitzuwirken. Und sie sind bereit, die Konsequenzenihrer Warnungen zu tragen. Unken sind vielleicht bereits mit pessimistischen oder de struktiven Äußerungen aufgefallen, ihre „Rufe“ sind nicht lösungs orientiert und zeugen eher von Misstrauen als von Interesse fürdas Unternehmen, die Zukunft und/oder handelnde Personen. Die Warnungen von Narzissten zeichnen sich dadurch aus,dass sie mehr der Selbstinszenierung als der Abwendung einerGefahr dienen. Sie sind von einer kritiklosen Sicherheit geprägt,die wirtschaftliche Entwicklung oder die des Unternehmens (alseinzige) vorauszusehen.Um Kassandras zu erkennen, also die Warnenden, auf die essich zu hören lohnt, ist vor allem die Intention aufschlussreich,aus der heraus eine Person handelt: Warum macht die Persondas, was bezweckt sie damit? Geht es ihr um die Sache oder umeine eigene Agenda? Ist sie bereit, an einer Lösung mitzuwirken?3. Schritt: Kassandra-Rufe integrierenUm Krisenblindheit zu überwinden und sich auf disruptive Ver änderungen besser vorzubereiten,müssen Unternehmen verstärkt da rauf achten, dass Kassandras nichtausgeblendet werden oder gar alsvermeintliche Bremser oder Nest beschmutzer bestraft werden. Umdas sicherzustellen, können sie ein Sounding Board einrich ten, in dem – oft eher auf diffusenAhnungen als konkretem Wissenberuhende – Warnungen angehört,gesammelt und weitergedacht wer den. Führungskräfte sensibilisieren,dass sie Warnungen nicht abkan zeln und auch dann ernst nehmen,wenn nicht gleich fertige Lösungenpräsentiert werden. plausibel klingende Warnungen adressieren, indem mögli che Lösungen erdacht und in kleinen Bereichen implementiertwerden, um sie zu erproben und Mitarbeitende Erfahrungensammeln zu lassen. dabei mehrere Ansätze parallel verfolgen, um für möglichstviele Eventualitäten aufgestellt zu sein. Formate finden, in denen disruptiv gedacht werden undGeschäftsmodelle und Erfolgrezepte radikal hinterfragt werdenkönnen (Kernfrage: Was wäre, wenn XY nicht mehr geht?), umproaktiv Lösungen für mögliche Krisen zu entwickeln.Quelle: www.managerseminare.de, Christian Böhler; Grafik: Stefanie Diers; www.trainerkoffer.de– Das WeiterbildungsmagazinmanagerSeminare Heft 271 XXX 20XY

managementKassandra oder Querulant?Der dritte Grund, warum Hinweise auf Fehlentwicklungen oft nicht ernst genommenwerden, ist bei den Warnenden selbst zusuchen bzw. bei der Unsicherheit, ob sieüberhaupt ernst zu nehmen sind oder nicht.Denn nicht jeder dieser Rufe kommt voneiner Kassandra, es gibt ja auch wirklichdiejenigen, mit denen sie verwechselt werden: die an allem etwas zu meckern haben,die nur Probleme sehen, die anderen dasLeben schwer machen, die Besserwisser,die Wichtigtuer, die Störenfriede. Woheraber soll man wissen, wem man Glaubenschenken kann und wessen Rufe in dieIrre führen? Wie unterscheidet man alsUnternehmer eine Kassandra von einerUnke oder einem Narziss?Sicher weiß man das erst im Nachhinein.Aber es gibt Anhaltspunkte, wessen Warnungen man eher ernst nehmen kann alsandere: Es sind weniger die persönlichenCharaktereigenschaften, die den Unterschied ausmachen, als die Intention, aus derheraus eine Person mahnt. Eine Kassandramacht, was sie macht, aus einem Pflichtbewusstsein heraus, während eine Unke auseiner pessimistischen Einstellung und einNarziss aus egoistischem Interesse handelt(s. Kasten). Die wichtigste Frage, die mansich stellen muss, lautet daher: Warummacht die Person das, was bezweckt siedamit? Geht es ihr um die Sache oder umeine eigene Agenda? Und: Ist sie bereit, aneiner Lösung mitzuwirken?Bereitschaft zur DisruptionWenn man einen Mahner auf diese Weiseals Kassandra identifizieren kann, ist dasein erster Schritt in Richtung einer besserenKrisenvorbeugung. Der zweite Schritt – denVorhersagen Taten folgen zu lassen – istjedoch schwieriger. Zu der beschriebenenKrisenblindheit kommt hinzu, dass die Lösungen es oft nötig machen, mit Gewissheiten, alten Erfolgsmodellen und Branchenstandards zu brechen. Anders gesagt: Sieerfordern die Bereitschaft zur Disruption.Ein gerne zitiertes Beispiel dafür ist derniederländische Pflege-Anbieter Buurtzorg.Während anderswo Pflege ausschließlich Heft 271 Oktober 2020Ergebnisse des MeinungsMonitors mS269Krisen kann man inder Regel nicht kommen sehen.Lassen sich KRISENVORHERSAGEN?10%24%Manche sind gutdarin, andere eherschlecht.68%Ja, jede Krisewirft einen Schatten voraus.Manche Krisen lassen sichgut prognostizieren, anderesind unprognostizierbar.Die meisten sind schlechtdarin.51%43%So gut sie nursein können.Wie gut sind Unternehmen in der3%Warum sen oft erst spät?Aktive Leugnung: Krisenwarner werden zur Ordnung gerufen.17%Negative Entwicklungen werden ausgeblendet.33%Ausschweigen über Warnzeichen: Niemand will die Person sein, die die Party verdirbt.35%Warner und Warnzeichen werdensystematisch ignoriert.40%Erfolgseinlullung: Nach langen guten Phasen kannman sich schwere kaum noch vorstellen.53%Zu starker Fokus auf das Hier und Jetzt.53%Wie können Unternehmen ihreFähigkeit zur KrisenvorhersageGlauben Sie, dass Ihr Unternehmen künftig besser auf KrisenDurch sein wird?VERBESSERN?. Förderung einer Unterneh-80% menskultur, in der alle offenihre Meinung sagen. transparenteUnternehmens46% zahlen.49%VORBEREITETNein, dienächsteKrise wirduns genausounvorbereitettreffen.42%58%Ja, ausdieserErfahrunghaben wirgelernt. eine intensive Vernetzung mit externen Experten.n 94 Leser, die sich am MeinungsMonitor zum Thema „Lassen sich Krisen vorhersagen?“ in manager Seminare 269, August 2020, beteiligt haben. Grafik: Katharina Langfeldt; www.managerseminare.de41

managementKassandra-Fragen ans eigene UnternehmenKassandras sprechen Warnungen aus, haben aber nicht zwingend auchLösungen bereit. Die müssen Unternehmen schon selbst liefern. Als Refle xionshilfe dienen folgende sechs Fragen, wobei jeweils das Krisenereignisbzw. die disruptive Veränderung, auf die es sich vorzubereiten gilt, zuergänzen ist.1. Werden unsere Produkte noch benötigt, wenn ?2. Können unsere Mitarbeiter noch zur Arbeit kommen, wenn .?3. Wie können wir weiter produzieren bzw. die Kunden bedienen, wenn ?4. Mit welchen alternativen Produkten können wir unsere Kunden bedie nen, wenn ?5. Wie können wir schon heute positiv dazu beitragen, dass es nicht zurKrise kommen wird?6. Wenn wir oder unsere Produkte nicht mehr gebraucht werden, wie kön nen wir dann unseren Lebensunterhalt sichern?Die Antworten können helfen, eine Krise schon im Vorfeld zu adressierenund Alternativen zum Standardgeschäft zu entwickeln und in Teilberei chen schon in die Praxis umzusetzen, um im Notfall darauf zurückgreifenzu können. Damit machen sie gleichzeitig das bestehende Geschäftsmo dell resilienter.Quelle: www.managerseminare.de, Christian Böhlernach Leistungs- und Budgetprinzipien organisiert ist, hat Buurtzorg-Gründer Jos deBlok erkannt, dass diese ökonomische Orientierung das Potenzial von Pflegefachkräften beschränkt und eine bloße Versorgungdem steigenden gesellschaftlichen Bedarfan Pflege auf Dauer nicht gerecht werdenkann. Sein Unternehmen verzichtet daherauf die bislang als unabdingbar geltendenPflege-Manager und weicht von der Logikder Ressourcenoptimierung ab. Damit istes nicht nur wirtschaftlich erfolgreich. Buurtzorg ist auch mehrfach als Arbeitgeberausgezeichnet worden, andere Anbieterhaben das Modell übernommen.Natürlich sind weder das Problem nochdie Lösung ohne Weiteres übertragbar.Was übertragbar ist, ist der Mut, Neulandzu betreten, auch wenn die Veränderungen erst einmal unbequem sind und füreinzelne Personen in der Organisationbedeuten, dass sie ihres Throns verlustiggehen könnten. Auch wenn es wehtut,muss man sich jedoch klarmachen, dass einWeiter-so ja ebenfalls unbequem werdenkann, mehr noch als die Lösungen. Wennes also nicht möglich oder zu aufwendigerscheint, dem Rat einer Kassandra zu42folgen, empfiehlt es sich, den Schaden zuschätzen, der eintreten könnte, wenn mannichts tut.Alternativen parallel in die PraxisumsetzenUnd noch etwas hilft: Disruption bedeutetnicht, dass alles sofort über Bord geworfenwerden muss. Vielmehr geht es darum,abseits des etablierten GeschäftsmodellsAlternativen zu suchen und Pläne zurechtzulegen, die im Krisenfall schnellaktiviert werden können. So wie es einfindiger Bäcker aus Weil am Rhein getanhat, von dem die Stuttgarter Zeitung am27.03. berichtete: Als die ersten Gedankenin Richtung eines Corona-Lockdowns geäußert wurden, hat er sich überlegt, wieer seine Kunden weiter bedienen kann,wenn Ladenlokale geschlossen werdenmüssen. Er hatte die Idee, einen Drive-inzu bauen, provisorisch, die Ware wurdemit Besenstiel und Rutsche zum Kundengelotst. Er sorgte auch für die Möglichkeitzum in Bäckereien sonst unüblichen kontaktlosen Bezahlen. Eine Vorbereitung, diees ihm ermöglichte, die vorgeschriebeneDistanz zu seinen Kunden zu halten undsein Geschäft aufrechtzuerhalten, als esdann tatsächlich zum Lockdown kam.Ein kleines Beispiel, das aber zeigt, dasses sich lohnen kann, auf Risiken proaktivzu reagieren und sich auf den Fall vorzubereiten, dass die Grundfeste des Geschäftsmodells – zum Beispiel der direkte Kundenkontakt – erschüttert werden. AndereBeispiele liefern die vielen Unternehmen,die sich bereits ein digitales Standbeinaufgebaut haben, einen Online-Handeletwa neben dem physischen Geschäft. Diewaren im harten Lockdown, als viele kleineGeschäfte pleite gegangen sind, im Vorteil,weil sie einfach von der einen zur anderenSparte wechseln konnten. Auf Warnungenund Vorhersagen zu hören, ist also keinAlles-oder-nichts-Spiel. Vielmehr geht esdarum, eine oder sogar mehrere alternativeLösungen vorzubereiten und vielleicht inTeilbereichen einzuführen, parallel zumStandardgeschäft, als Rückfalloption unddamit die Mitarbeitenden schon auf einezukünftige Rolle vorbereitet sind. Jedergute Krisenstab tut dies, auch wenn ervielleicht darauf setzt, diese Lösungen niezu benötigen, aber um sie zu haben, wennes zum Schlimmsten kommen sollte. Heft 271 Oktober 2020

managementZusammenhänge vor LösungenWas es also braucht, um sich auf vorhersehbare – und unvorhersehbare – Zukünftevorzubereiten, ist eine Art Ambidextrie,aber mit negativen Vorzeichen. Ambidex trie, also das gleichzeitige Experimentierenmit Innovationen neben dem Tagesgeschäft,findet inzwischen in vielen großen Unternehmen in gesonderten Ideenschmiedenoder Labs statt. Doch es gibt nach meinenRecherchen keine Unternehmen, die ihrenKassandras – also den Schwarzsehern –strukturiert Raum geben. Genau das brauchtes aber für die Krisenvorbeugung, denneine Kassandra sieht eher Probleme alsInnovationen, sie erkennt Zusammenhängeund deren Auswirkungen unter Umständen,bevor Lösungen existieren, sie spricht vorallem aus der Ahnung, dass etwas nichtmehr lange gut gehen kann, auch wenn sienicht unbedingt weiß, wie es besser geht.Daher benötigen Kassandras ein Sound ing Board, um ihre Ahnungen in konkreteLösungen gießen zu können, bevor sie alsUnken abgestempelt werden. Vielleicht istes an der Zeit, mehr zuzuhören und abseitsvom Muss des Leistens auch ein Darf desDenkens zu ermöglichen. Denn dass sienicht alles erklären kann und keinen fertigen Businessplan in der Tasche hat, heißtnicht, dass ihre Warnung nicht gilt. Es istübrigens auch nicht die Aufgabe einer Kassandra, alle Lösungen allein zu entwickeln,sondern die des Unternehmens.Nehmen wir als Beispiel die Virologen,die seit Monaten vor den Gefahren der Pandemie und vor einem zweiten Lockdownwarnen, aber natürlich keine Lösungen fürdie betrieblichen Folgen liefern können.Verantwortungsbewusste Unternehmenmüssen schon selbst durchspielen, und zwarrechtzeitig, was passieren könnte, wenn eszu dieser (oder einer anderen) Krise käme.Dabei helfen ihnen eine Reihe von Fragenans eigene Unternehmen (s. Kasten). Konkretauf die Corona-Krise angewendet lautendiese Fragen: Werden unsere Produkte noch#traincamp27. november 2020das barcampfür weiterbildner*innenerstmals virtuellinfos unter: www.traincamp.online

managementiMehr zum Thema Bernhard von Mutius: Der T-Canvas – Anleitung zum Widerspruch.www.managerseminare.de/MS268AR08Das alte Geschäftsmodell ausbauen, gleichzeitig ein neues entwickeln, dasdieses ersetzen kann. Kognitiv bedeutet das eine enorme Herausforderung.Mit dem Tool des T-Canvas fällt es leichter. Julia Culen: Krisenfestigkeit gewinnen – Anleitung zum guten Über ießungen, unterbrochene Lieferketten, Personalengpässe – dieCorona-Krise macht deutlich, wie VUKA die Welt ist. Welchen Organisatio nen gelingt es, in dieser Welt zu bestehen und was macht ihre Krisenfestig keit aus? Sylvia Jumpertz: Führungsaufgabe Ambidextrie – Die nternehmen müssen heute innovativ sein – und trotzdem das Kernge schäft reibungslos am Laufen halten. Der Organisations- und Führungsan satz Ambidextrie verspricht, beides unter einen Hut zu bekommen. Aber wiegelingt das?benötigt, wenn es zu einem weiteren Lockdown kommt? Können unsere Mitarbeiterihre Arbeit erledigen? Können wir weiterproduzieren und ausliefern? Mit welchenalternativen Leistungen können wir Kundenbedienen, wenn physische Begegnung nichtmöglich ist? Wie können wir dazu beitragen,dass es nicht zu einem Lockdown kommt?Und wenn alle Stricke reißen: Wie könnenwir sonst unseren Lebensunterhalt sichern?Kassandra-Reife entwickelnFoto: Christian BöhlerSelbst wenn die Krise nicht eintritt, ist eskeine verschwendete Zeit, sich diese FragenDer Autor: Christian Böhler istgelernter Zimmerer, Medieninfor matiker und Agile & Digital Coach.Er war lange Zeit als Personalent wickler beim Energiekonzern innogySE tätig. Seine Schwerpunkte liegenu.a. in den Bereichen New Work,Digitalisierung und agile Arbeitswei sen. Kontakt: www.rodenwerk.dezu stellen, weil sie in jedem Fall helfen, dasGeschäftsmodell resilienter zu machen.Angewendet auf die Energiewirtschaftlässt sich so zum Beispiel durchspielen,wie die Windkraft weiter genutzt werdenkann, wenn es – Achtung: Kassandra-Ruf– zu einer Art klimatischen Lockdownkommt, bei dem überhaupt nichts mehrgeschehen darf, was nicht klimaneutral ist.Die genannten Fragen, darauf angewendet,könnten ergeben, dass Windkraft zwarmehr denn je gebraucht werden würde,aber mehr Speicher benötigt würden. DieKlimabilanz der eigenen Arbeit müssteverbessert werden, vor allem müsstenAusbau und Entsorgung der Windanlagenvorausschauender geplant werden. Gleichzeitig müssten klimaneutralere Produkteentwickelt werden usw. Im besten Fallkönnen so schon Konsequenzen gezogenwerden, bevor das Unheil passiert.Damit das aber passieren kann, gilt es,noch den vielleicht größten Widerstandzu überwinden, mit dem die Kassandrasdieser Welt zu kämpfen haben: die Trägheitvon jedem von uns, und die mangelndeBereitschaft zur Veränderung. Um dieseTrägheit zu überlisten, hat mir folgendeListe oft geholfen: Frage dich: Was hindert dich, was hindert dein Unternehmen, einen neuen Wegzu gehen? Denk an die Vorteile: Was steckt für dich/dein Unternehmen drin, wenn du dich/deinUnternehmen veränderst? Schau voraus: Was könntest du/dein Unternehmen künftig tun, was sich lohnt?Welche kleinen Schritte bringen dich/deinUnternehmen dieser Vision näher? Welche Mitstreiter helfen dir? Belohne dich und dein Unternehmen. Guck dir bei Kindern ab, wie sie mit Rückschlägen umgehen.Letztlich geht es darum, dass wir ganzpersönlich lernen, Kassandra-Rufe alsChancen zu verstehen, weil sich sonstauch in Unternehmen nichts ändert. Selbstwenn die Strategie heute passt, die Geisteshaltung muss immer sein, dass Krisen– oder Warnungen vor möglichen Krisen– helfen, die Strategie noch stabiler zumachen. In jedem Fall schadet es nicht,Kassandras willkommen zu heißen undihnen zuzuhören. Vielleicht gibt es ja dochein Fünkchen Wahrheit in dem, was sieuns sagen. Auch wenn es unbequem ist. 44Christian Böhler Heft 271 Oktober 2020

managerSeminarePROFIPAKETWissen aufbauenTraining aktuell managerSeminare – das Duo für Profisnur6,60 Eurozusätzlich im Monat*Semina www.manager 17,80 Fr. 25,00 Januar 2020 G 11503 Heft 262Das WeiterbildungsmagazinTrainingaktuell 12 x jährlich Training aktuell Vollzugriff auf das digitale Archiv von Training aktuell Flatrate auf über 4.000 Tools, Bilder, Inputsund Verträge von www.trainerkoffer.de Jährlich eine Marktstudie als eBook gratiser 2019www.trainingaktuell.desgebremstAus Versehen auikUnternehmen und PolitManager alsMeinungsmacherKirre im KollektivsoWarum Top-Teamsnoft schlecht entscheideNEW LEARNINGKurz und gutWie prägnantetKommunikation gelingTOP TOOLS FORLEARNING 2019Womit moderneMenschen lernenFOR NEW WORKFünf Thesen für neueONLINE-COACHING-FORMATETrainingsWie man effektivvia E-Mail coachtundwelche Vorteile dasFormat bietetJetzt upgraden:www.managerseminare.de/profipaketE-Mail: abo@managerseminare.deTelefon: 0228/97791-23EUR 12,80 G 25220und Coachingenon in UnternehmSelbstorganisatiTraining, Beratung12/2019, 25. Novemb01 20 % Ermäßigung beim Einkauf von Fachbüchernund Trainingskonzepten der Edition Training aktuellDie Zeitschrift für30. Jahrgang Nr.419115 031780 6Nach ihrem Profi-Upgrade erhalten Sieweiterhin managerSeminare mit allenZusatzservices und außerdem:re.deMIT VORURTEILENAUFRÄUMENWie die Geschichteder Albatros-Kulturdabei helfen kann* Jahresabo managerSeminare 168 EuroProfipaket Jahresabo 248 EuroPOSITIONIERUNGSBWorauf WeiterbAuswahl achtenERATUNGildungsprofis beisolltender

nicht nur dort) sind lange Zeit der Hybris erlegen, Energie sei ein konkurrenzloses Produkt und sie Monopolisten hinsichtlich der Produktion und des Transportes der Energie. Ein Irrtum: Die Liberalisierung der Netze, das Unbundling, Fukushima und der durch den Klimawandel erzwungene Ausstieg aus der Stromgewinnung aus fos -