Harald Panknin, Urban Elsässer

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Harald Panknin, Urban ElsässerNLP für Logopädieund SprachtherapieErnst Reinhardt Verlag München Basel

Harald Panknin, Legden bei Münster, Atem-, Sprech- und Stimmlehrer,hypnosystemischer Coach und Stimmtherapeut in eigener Praxis, istGeschäftsführer von „Die Praxisberater GmbH“, Dozent für Fort- undWeiterbildung von Therapeuten, Trainern und Coaches, Leiter und Dozent der„Voice Coach Ausbildung“ und „Fachtherapeut Stimme“ an der DüsseldorferAkademie. Vom Autor außerdem im Ernst Reinhardt Verlag lieferbar: HaraldPanknin, Uwe Schürmann: „Voice Coaching für Stimme und Ausdruck“.Dipl.-Psych. Urban Elsässer, Neu-Moresnet, Belgien, NLP-Master, ist Dozentund Supervisor in der Aus- und Weiterbildung im Fachbereich Psychologie.Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der DeutschenNationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.ISBN 978-3-497-02160-4 2010 by Ernst Reinhardt, GmbH & Co KG, Verlag, MünchenDieses Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt.Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzesist ohne schriftliche Zustimmung der Ernst Reinhardt GmbH & Co KG,München, unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen,Übersetzungen in andere Sprachen, Mikroverfilmungen und für dieEinspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.Printed in GermanyReihenkonzeption Umschlag: Oliver Linke, AugsburgCovermotiv: knallgrün / photocase.comSatz: Arnold & Domnick, LeipzigErnst Reinhardt Verlag, Kemnatenstr. 46, D-80639 MünchenNet: www.reinhardt-verlag.de E-Mail: info@reinhardt-verlag.de

InhaltVorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .71Neurolinguistisches Programmieren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .101.1Was ist NLP?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .101.2NLP und Sprachtherapie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .112Psychodiagnostische, logopädisch / sprachtherapeutischrelevante Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .142.1Komorbidität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .142.2Neurose als Anpassungsphänomen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .152.3Narzisstische Störungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .162.3.1 Depression. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .172.3.2 Aggression. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .192.3.3 Grenzen der Domäne Logopädie / Sprachtherapie. . . . . . . . . . . . . . . . . .242.4Ressourcenorientierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .252.5Fallbeispiele. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .252.5.1 Komorbidität – Aphasie und Depression. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .252.5.2 Komorbidität – Stottern und Aggression / Zwang . . . . . . . . . . . . . . . . . .273NLP in der Logopädie / Sprachtherapie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .293.1Die NLP-Perspektive. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .293.1.1 Reframing – die Differenzierung zwischen Absicht und Wirkung . . . . . .293.1.2 Die Struktur ist wichtiger als der Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .323.1.3 Stabilität und Wandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .333.2Pacing und Spiegelneurone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .343.2.1 Analoges Pacing. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .353.2.2 Digitales Pacing. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .363.337Leading als Einladung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3.4Input-Kanäle, Repräsentationssysteme und Output-Kanäle. . . . . . . .393.4.1 Zugangshinweise durch Sprachmuster. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .453.4.2 Zugangshinweise durch Augenmuster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .493.5Submodalitäten der Repräsentationssysteme. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .523.6Assoziation und Dissoziation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .553.7Ankern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .574NLP-Techniken als Übungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .614.1Analoges Pacing – Aufbau einer Ja-Haltung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .614.2Analoges Leading im Dienste des Feedbacks. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .724.3VAKOG-Hypnose. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .784.4Ankern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .844.5Reframing – Hilfe zur Ressourcenperspektive. . . . . . . . . . . . . . . . . . .884.6NLP in der Gesprächsführung – Das Meta-Modell der Sprache. . . . .975Verknüpfungen und Falldarstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1145.1Lese-Rechtschreib-Schwäche (LRS) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1145.2Stimmstörung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1276Offenes Ende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137Sachregister. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139Hinweise zur Verwendung der IconsFallbeispielÜbungMerksatz

VorwortWarum wir das Buch „NLP für Logopädie und Sprachtherapie“ schreibenwollten, hatte zwei Gründe. Erstens kann NLP die Professionalität vonSprachtherapeuten an den Stellen erweitern, wo beispielsweise gegenwärtigein immer stärkerer Bedarf an einer zieldienlichen Gesprächsführung vorliegt. Zweitens haben Sprachtherapeuten ganz spezifische Fragestellungen, diedurch ein allgemeines NLP-Lehrbuch nicht direkt beantwortet werden.Wir arbeiten seit über einem Jahrzehnt in den Fachbereichen Psychologie, Sprecherziehung, Rhetorik und Gesprächsführung als Dozenten undAusbilder an unterschiedlichen Logopädenlehranstalten, sowohl einzeln alsauch zusammen. Wir durften die Entwicklung der letzten Jahre miterlebenund mitgestalten, was die Vernetzung der unterschiedlichen Fachbereicheangeht. Wir waren und sind an Lehranstalten tätig, die als „Modellschulenfür die Erneuerung des Lehrplanes für Logopäden“ seitens des Ministeriumsfür Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes NRW im Jahre 2006 ausgewählt wurden, um ein neues qualitätsorientiertes Curriculum zu erproben.Durch dieses neue Curriculum wurde der Anspruch an eine professionelleGesprächsführung und vor allem an eine bessere Grundlagenvermittlung desThemenbereichs „Kommunikation“ deutlich erhöht.Das Buch soll aus diesem aktuellen Anlass, Ihnen, liebe Leserin und lieberLeser, ein übersichtlicher Begleiter sein, um Ihr Repertoire an Interventionen für Ihre Klienten abzurunden und zu erweitern, aber auch, um besserverstehen zu lernen, warum Sprache, einschließlich der nonverbalen Kommunikation, in der Therapie bereits selbst ein mächtiges Werkzeug der Intervention ist. Wir legen dabei besonderen Wert darauf, die Zusammenhängeder NLP-Perspektive zu erläutern. Zudem bieten wir Ihnen eine Methodikan, die an Ihr bereits vorhandenes Wissen und an Ihre gesammelte Erfahrungals Sprachtherapeut oder Sprachtherapeutin anschließt. Die NLP-Perspektiveund auch die NLP-Werkzeuge sollen Sie dabei unterstützen, Ihre Fähigkeitzur Reflexion über die eigene therapeutische Arbeit zu steigern. Durch einederartig fortwährende Qualitätskontrolle können Sie eine kontinuierlichwachsende Qualifizierung erreichen.Kommunikation wird als ein Feedbackprozess verstanden. Feedbackpro zesse können differenziert werden in internale und interaktionelle Feedbackprozesse. Letztere werden im Rahmen der Fallbeispiele zum Thema Komor bidität bei sprachtherapeutischen / logopädischen Störungsbildern (z. B.kann LRS mit einer depressiven Entwicklung einhergehen) in Kapitel 2.5.1

8und 2.5.2 behandelt. So können Sie ein besseres Verständnis und einenförderlichen Umgang sowohl mit Komorbidität als auch mit Feedbackprozessen erzielen. Gerade der Aspekt der Selbstreflexion sollte als Chance fürdie Sicherung einer guten Psychohygiene verstanden werden. Damit ist besonders auch der eigene liebevolle Umgang mit sich selbst gemeint. DennFeedback kann nicht nur interaktionell erfolgen. Es gibt darüber hinaus auchinnere (internale) Feedbackprozesse. Vor allem die Art und Weise, wie mansich beispielsweise zu eigenen sogenannten Fehlern in Beziehung setzt, solltetolerant und freundlich erfolgen. Zum Thema Wertschätzung finden Sie indiesem Buch nicht nur für Ihre Klienten, sondern auch für sich selbst einigewertvolle Ideen. NLP bietet Ihnen eine wahre Schatztruhe mit vielen, schnellwirksamen Maßnahmen. Die dadurch mögliche Psychohygiene wirkt prophylaktisch gegen mögliche Burn-Out-Entwicklungen.Warum stellt gerade NLP so effiziente und effektive Lösungen für dieoben beschriebenen Herausforderungen bereit? NLP steht für Neurolinguistisches Programmieren. Der Begriffsbestandteil „Neuro“ weist darauf hin,dass es um Vorgänge des Gehirns geht. Linguistik ist die Wissenschaft vonder Sprache. NLP beschäftigt sich folglich damit, wie die Vorgänge in unserem Gehirn mithilfe von Sprache beeinflusst werden können – wie wir alsoin gewissem Sinne unser Gehirn „programmieren“ können. Entstanden istNLP aus der Frage heraus, warum gewisse Therapeuten erfolgreicher sind alsandere. Richard Bandler und John Grinder, die beiden Begründer des NLPs,fanden durch systematische Beobachtung heraus, dass ganz bestimmte Kommunikationsmuster und Vorgehensweisen der Schlüssel zum Erfolg sind. Siebeobachteten und analysierten Virginia Satir, Fritz Perls und Milton Ericksonbei ihrem jeweiligen therapeutischen Vorgehen bzw. bei ihrer individuellenArt der Kommunikation mit dem Klienten. Sowohl Grundüberzeugungen alsauch Techniken der drei Jahrhundert-Therapeuten wurden im NLP zusammengefasst und didaktisch in ein gut vermittelbares und leicht erlernbaresKonzept gegossen.Leider wurde NLP dadurch auch für Menschen zugänglich, die diesesKonzept, aus unserer Sicht, nicht immer ethisch einwandfrei bzw. auch fahrlässig verwenden. Deshalb stößt NLP bei vielen Therapeuten und Kollegenhäufig auf Kritik und Abwehr. Wir nehmen diese Kritik sehr ernst und werden deshalb einige Begriffe anders als bisher definieren, um einer möglichenIdee der Machtgewinnung durch NLP entgegenzuwirken.Insgesamt ist dieses Buch zusätzlich geprägt durch das hypnosystemischeGedankengut von Gunther Schmidt, welches die Wertschätzung der Einstellungen und die Berücksichtigung der Bedürfnisse des Klienten in den Vordergrund stellt. Wir sind als Psychotherapeuten, Atem-, Sprech- und Stimmlehrer und Coaches beide therapeutisch tätig und wenden uns mit der Bitte an

9unsere Kollegen, die Klienten als einzige Autorität zu betrachten, denn nurdie Klienten können darüber entscheiden, ob etwas gut für sie ist oder nicht.Ist diese Grundhaltung geklärt, können die Verdienste von Bandler und Grinder höchst effizient und effektiv genutzt werden, um die Wirksamkeit vonSprachtherapie bzw. Logopädie deutlich zu steigern.Dieses Buch stellt jedoch keine allumfassende Darstellung der NLP-Arbeit dar. Wir wollen vielmehr dort einen Schwerpunkt setzen, wo NLP undSprachtherapie eine besonders lohnende Verbindung eingehen können. Wirhoffen, Ihr intuitiv vorhandenes Wissen hervorzulocken und zu erweitern,und möchten Sie anregen, NLP mit Ihren bewährten therapeutischen Grundlagen anwendungsorientiert zu verknüpfen. Im Besonderen ist es uns wichtig,Ihnen in diesem Zusammenhang diagnostisch-psychologische Grundkenntnisse zu vermitteln (z. B.: Woran erkenne ich eine depressive Entwicklung?Welche mögliche Beziehungsdynamik zwischen Klient und Therapeut beinhaltet dies? Wie kann ich konstruktiv damit umgehen?). Dieses Vorgehenermöglicht einen professionellen und verantwortungsbewussten Einsatz derNLP-Techniken. Somit werden die Voraussetzungen für einen tragfähigentherapeutischen Kontakt, z. B. mit „schwierigen Klienten“, geboten, und eswird aufgezeigt, wie Sie die Compliance sowie die Wirkung des therapeutischen Agens der Erwartung verbessern können. Die therapeutische Arbeitwird entsprechend leichter und bereitet sowohl dem Klienten als auch Ihnenals Therapeutin oder Therapeut mehr Freude.In diesem Sinne laden wir Sie nun ein, liebe Leserin, lieber Leser, Ihrebisherigen Erfahrungen mit den Ideen des NLPs zu verbinden, um Ihren persönlichen Gewinn aus diesem Buch zu ziehen.Wir möchten an dieser Stelle all denen danken, die uns in der Entstehungsphase mit sehr viel Unterstützung begleitet haben. Besonders dankenwir Hermine Bertram und Jennifer Cröll für den fachlichen Austausch.Zum Schluss möchten wir noch darauf hinweisen, dass wir im Folgendenvon Therapeut und Klient sprechen und aus Gründen der besseren Lesbarkeitnur die männliche Form verwenden. Dies ist natürlich nur eine grammatische Konvention – bitte fühlen Sie sich, unabhängig von Ihrem Geschlecht,gleichermaßen angesprochen.Legden und Neu-Moresnet im Mai 2010Harald Panknin und Urban Elsässer

1 Neurolinguistisches Programmieren1.1 Was ist NLP?Wie bereits erwähnt steht NLP für Neurolinguistisches Programmieren. Dieneuronalen Prozesse bei der Bildung und Verwendung von Sprache dienen imNLP der „Umprogrammierung“ bestehender unerwünschter Muster. Was bedeutet das? Das Wort „Verhaltensmuster“ ist sicher im Allgemeinen bekanntund beinhaltet bereits das Wort „Muster“, welches sich in einem bestimmtenVerhalten zeigt. Unter Muster wird im NLP eine bestimmte Form der neuronalen Vernetzung verstanden. Wir könnten einfach die Frage stellen: „Was istwomit verknüpft?“Wenn ein Klient beispielsweise heiser ist, wird dieses Phänomen der Heiserkeit wahrscheinlich mit einer bestimmten Körperkoordination (Haltungund Bewegung) sowie mit einer bestimmten Art, zu atmen und auch zu artikulieren, einhergehen. Diese bekannten logopädischen Phänomene werden alsMusteranteile selbstverständlich neuronal gesteuert. Sie werden üblicherweisestimmtherapeutisch erfasst und es wird versucht, auf sie Einfluss zu nehmen.Jedoch ist eine heisere Stimme nicht nur mit diesen physischen Phänomenen verbunden. Der Klient kann, während er sich heiser zeigt, beispielsweiseauch innere Dialoge mit sich selbst führen (z. B. könnte bei einem Lehrer folgendes inneres Selbstgespräch ablaufen: „Verdammt, jetzt werden die letztenzwei Unterrichtsstunden noch super anstrengend!“). Solche inneren Dialogekönnen die Heiserkeit sogar ursächlich auslösen oder zumindest verstärken.Die gerade angeführten Worte wird der Klient mit seiner inneren Stimme ineinem bestimmten Tonfall und einer gewissen Lautstärke sagen. Auch wirder dabei gegebenenfalls innere Bilder produzieren (z. B. Fragezeichen überden Köpfen seiner Schüler), und er wird sogar Gerüche (z. B. schlechte Luft)oder auch einen bestimmten Geschmack wahrnehmen (z. B. einen fahlen Geschmack und eine Trockenheit im Mund). Auch wird das Ganze mit einembestimmten Gefühl einhergehen (z. B. Sorge / Angst vor dem Versagen). Alldiese Musteranteile wirken zudem noch aufeinander zurück (Rekursivität).Diese Vorgänge beruhen auf der Verarbeitung von Reizen auf allen Sinneskanälen: visuell, auditiv, kinästhetisch, olfaktorisch und gustatorisch.

11So wie wir die Welt mit unseren Sinnen wahrnehmen, entsteht inuns eine Idee von Realität.Dies bringt die Landkartenmetapher von Alfred Korzybski zum Ausdruck(1995). Er spricht in seiner Theorie von der Unterscheidung zwischen derLandkarte und dem Territorium, die wir beide nicht miteinander verwechselndürfen. Die Landkarte ist niemals das Territorium (die Landschaft) selbst, sondern bildet diese nur ab. Deshalb werden die Sinnesverarbeitungen, die demBewusstsein zugänglich sind, im NLP als Repräsentationssysteme bezeichnet.So ist unsere Wahrnehmung durch unsere Sinne immer „nur“ unsere persön liche Vorstellung (Repräsentation) von den tatsächlichen Reizen. Das bedeutet, dass wir unabhängig davon, ob wir Reize von außen oder Prozesse in unserem eigenen Körper verarbeiten, unser Erleben immer selbst kreieren. AlexaMohl bringt diese Erkenntnis in ihrer Definition zum NLP auf den Punkt:„NLP ist eine Disziplin, die die subjektive Erfahrung des menschlichen Lebensprozesses erforscht.“ (Mohl 2006, 65)1.2 NLP und SprachtherapieBei der logopädischen Arbeit kann NLP dementsprechend helfen, wertvolleUnterschiede, nicht nur physisch, wie in unserem oben genannten Beispielgezeigt, sondern auch bezogen auf die anderen Repräsentationssysteme, zuerkennen und anzuregen. Praktisch gesehen wäre dann nicht „nur“ eine Haltungs-, und / oder Atmungs- oder Phonationsänderung sinnvoll, sondernbeispielsweise auch, oder sogar ausschließlich, eine Änderung der inneren Bilder / Filme oder der inneren Dialoge mit sich selbst. So manches Mal könntemit einer solchen Änderung die Therapie wesentlich verkürzt und der Transfer besser gesichert werden.NLP kann für die logopädische Arbeit einen Zugang und eine Methodik bereitstellen, um zusätzlich zum Körpersystem (Atmung, Tonus,Phonation und Artikulation) die kognitiven und emotionalen Verarbeitungssysteme in die Therapie mit einzubeziehen.

12NLP bietet Ihnen als Therapeut auch einen Blickwechsel an. Bisheriges Verhalten Ihres Klienten wird nicht, wenn es beklagt wird, grundsätzlich als destruktiv verstanden. Es findet vielmehr eine Differenzierung zwischen Absichtund Wirkung statt. Dieser Blick ermöglicht eine Steigerung der Wertschätzung nicht nur dem Klienten gegenüber. Er bietet auch die Möglichkeit derEinladung, sodass der Klient sich selbst besser annehmen lernt. Wir wollendies am Beispiel eines stotternden Klienten zeigen:Wenn typische Begleitsymptome, wie z. B. Vermeidungsverhal tensstrategien,welche sich etwa durch Mitbewegungen zeigen, als Lösungsversuche mit positiver Absicht, jedoch mit ungünstiger Wirkung, beschrieben werden, dannbietet dies dem Klienten die Möglichkeit, sich selbst beim Auftreten dieser Begleitsymptome nicht immer wieder aufs Neue abzuwerten. Denn die Ab wertungstendenz bewirkt gerade, dass sein Selbstwertgefühl und sein Glaubean eigene Kompetenzen ständig verringert werden. Der Klient könnte danngeneigt sein, zu denken, dass alles, was er im Umgang mit seiner sogenanntenStörung unternimmt, falsch und unsinnig ist. Wenn es Kompetenzen gebenkann, die ihm helfen können, dann müssen diese im Außen, also beim Thera peuten liegen. Diese Abwertungstendenz erhöht also zudem die Abhängig keit vom Therapeuten. Der Glaube, dass er aus eigener Kraft eine Verbesse rung seiner sprachlichen Fähigkeiten bewirken kann, sinkt entsprechend und behindert schon in der frühen Phase der Therapie den Transferprozess.Ein weiterer wichtiger Grundsatz im NLP ist zudem, dass jeder Mensch überalle Kräfte verfügt, die er zur Lösung seines Problems braucht. An dieser Stelle müssen wir selbstverständlich zwischen neurologischen, organischen undfunktionellen Störungen unterscheiden. Bei neurologischen Erkrankungenkann es durchaus sinnvoll sein, wenn Hilfen von außen (z. B. externe Hilfsmittel oder die Unterstützung durch Angehörige) genutzt werden. Jedochwürde unseres Erachtens auch hier eine tatsächliche Ressourcenorientierungin Bezug auf den Klienten einige bisher sicher unentdeckte Möglichkeitenbieten. Ressourcenorientierung wird zwar auch in der logopädischen Weltverlangt, Konzepte jedoch, wie Ressourcen herausgefiltert und dann auchfür einen Veränderungsprozess aktiviert werden können, sucht man vergebens. NLP stellt hierzu ein leicht anwendbares Konzept zur Verfügung. Beiorganischen Störungen oder bei einem neurologischen Befund haben unsereKlienten das Gefühl, dass sie sich in einer eingeschränkten Situation (Restriktion) befinden. Hier liegt einzig im Umgang mit dieser Restriktion die

13Chance der Besserung. Diese sollte so gut wie möglich durch den Einsatzeigener Beiträge und Ressourcen erfolgen. Beispielsweise bei sekundär organischen Stimmstörungen kann der Therapeut im Grunde genommen sowiesonur den funktionellen Umgang behandeln. Hier sei die Therapie der Rekurrensparese genannt. Dabei arbeitet der Therapeut über konservative Methoden ausschließlich an der Verbesserung der Kompensation und nicht an derReinnervation des geschädigten Nervs. Und bei reinen funktionellen Störungen ist der Therapeut sowieso darauf angewiesen, dass der Klient durch seineeigene Kraft sein Verhalten ändert.NLP bietet ein Instrumentarium, um Ressourcen zu aktivieren.NLP, als die Disziplin, die die subjektive Erfahrung erforscht, kann dementsprechend auch in sprachtherapeutischen Kontexten auf äußerst nützlicheWeise dazu beitragen,zz a)sich besser in Klienten einzufühlen,die Struktur der Muster von Problemen, aber auch von individuellen Lösungen zu verstehen,zz c) und Ihre Übungsangebote so mit einer spezifischen Gesprächsführungzu verknüpfen, dass Interventionen entstehen, die leicht im Alltag anzu wenden sind und den Transfer sichern.zz b)

2 Psychodiagnostische, logo pädisch / sprachtherapeutischrelevante Grundlagen2.1 KomorbiditätViele der von Ihnen zu behandelnden Störungsbilder gehen mit Doppel- oderMehrfachdiagnosen, einer sogenannten Komorbidität einher. KomorbideStörungen logopädischer Krankheitsbilder sind z. B.:zz Aphasieund Depression,und depressive Entwicklung,zz Stottern und Aggression / Zwang.zz LRS / ADHSAls Sprachtherapeut bewegen Sie sich somit in einem Feld, in dem Sie balancieren müssen zwischen Ihrem logopädisch-therapeutischen Auftrag (inklusive begrenzter Stundenzahl) und den mit der beschriebenen Komorbiditätkonfundierten Kommunikations- und Verhaltensmustern Ihres Klienten.Solche Verhaltensmuster können mehr oder weniger Ausdruck einer sogenannten „psychischen Störung“ sein. Diese Balance beeinflusst zwangsläufigden therapeutischen Kontakt bzw. die Beziehung (Rapport) und somit denProzess. Zudem befinden Sie sich mit dieser Anforderung nicht selten alleinim Gesundheitssystem. So sind Sie in der Aphasietherapie in einem Seniorenheim oftmals eine der wenigen Ansprechpersonen mit einem gewissenQuantum an Zeit. Sie arbeiten einerseits an der Reaktivierung sprachlicherKompetenzen, die andererseits wiederum Ausdrucksmittel der Emotionendes Klienten sind, die im Kontakt mit Ihnen ausgedrückt werden.Komorbide Störungen haben somit eine direkte Auswirkung auf die therapeutische Beziehung. Dieser rückbezügliche Prozess zwischen der Beziehungund der logopädischen Behandlung fordert Sie im Besonderen heraus. Sie stehen also in Fällen von Komorbidität vor einer besonderen Aufgabe: Sie müssen die Beziehungsgestaltung professionell nutzen lernen, um Ihren primärenlogopädischen Auftrag erfüllen zu können.Um dieser Herausforderung adäquat begegnen zu können, benötigen Siean erster Stelle eine solide Grundlage psychodiagnostischer Kenntnisse, dielogopädisch relevant sind. Diese Grundlage hilft Ihnen, sich zu orientieren,

15und lässt Sie zudem die Grenzen der sprachtherapeutischen Domäne klarererkennen. Wenn wir im folgenden Text jedoch von sogenannten psychischenStörungen sprechen und Ihnen diagnostisches Hintergrundwissen anbieten,sollten Sie sich immer darüber im Klaren sein, dass es hier ausschließlich umBenennungen und Beschreibungen geht. Diese sollen Ihnen lediglich dazudienen, die oben erwähnte Orientierung zu finden. Sie sollen nicht dazu verwendet werden, Ihre Klienten als sogenannte „psychisch gestörte Persönlichkeiten“ zu betrachten. Denn solch eine Einordnung kann wiederum negativeAuswirkungen auf Ihren Klienten und auch auf die Beziehungsgestaltung haben. An zweiter Stelle stehen Ihnen dann die NLP-Perspektive und -Techniken zur Verfügung, die in den weiteren Kapiteln dargestellt werden, um dieoben beschriebene Balance optimal zu gestalten.Wir beginnen zur Schulung Ihres diagnostischen Auges mit dem Begriffder Neurose als Phänomen der Anpassung und erläutern die Entstehung mal adaptiver (schlecht angepasster) Muster. Danach werden wir anhand von ausgewählten narzisstischen Störungen die zuvor erklärten Bereiche anwendenund auf die Ätiologie der Störung und den Verlauf eingehen. Um diese Informationen in den Kontext der Sprachtherapie zu integrieren, finden Sie amEnde dieses Kapitels eine Reihe von logopädischen Fallbeispielen, welche diekomorbiden Störungen thematisieren und Ihnen die Verknüpfung erleichternwerden.Uns ist dabei bewusst, dass eine umfassende Einführung den Rahmen unddie Zielsetzung dieses Buches sprengen würde. Es geht uns vielmehr darum,Aspekte des diagnostischen Prozesses hervorzuheben.2.2 Neurose als AnpassungsphänomenDer historische Begriff „Neurose“ umschreibt eine Fehlanpassung, ein Leidenan der Welt, auf der Basis einer ursprünglich optimalen Anpassung des Kindes an eine ungünstige bzw. entwicklungshemmende Umgebung. Das Kind istexistentiell von seiner unmittelbaren Umgebung abhängig. Es durchläuft einezum Teil explosionshafte Entwicklung seiner Fähigkeiten und Fertigkeiten undentwickelt sich im Spannungsfeld von Umwelt und Anlagefaktoren. Diese Abhängigkeit erzeugt einen Anpassungsdruck im Sinne des „Überlebenwollens“des Kindes in seiner spezifischen Umgebung. So wird ein Kind beispielsweisein einer Familie selbst auf aggressive Äußerungen verzichten, wenn die FamilieKonflikte in Form von aggressiver Auseinandersetzung scheut bzw. mit Strafensanktioniert. Dies würde sogar dann der Fall sein, wenn die aggressiven Äußerungen im Dienste der eigenen Bedürfnisbefriedigung stehen würden.

Wie bereits erwähnt steht NLP für Neurolinguistisches Programmieren. Die neuronalen Prozesse bei der Bildung und Verwendung von Sprache dienen im NLP der „Umprogrammierung" bestehender unerwünschter Muster. Was be-deutet das? Das Wort „Verhaltensmuster" ist sicher im Allgemeinen bekannt und beinhaltet bereits das Wort „Muster", welches sich in einem bestimmten Verhalten zeigt .