Graphicarts 01 - Druckmarkt

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DRUCKMARKTgraphicarts01 06D R U C K S A C H E N U N D A N D E R E K R E AT I O N E NDie Fachleute in den Druckereien (oftim Verein mit Kreativen in den Agenturen) wissen mehr als alle anderenBranchen um das Herstellen und dieWirkung von Drucksachen. Nur scheinen sie vergessen zu haben, mit diesem Pfund zu wuchern.Mit unserer neuen Rubrik »graphicarts« wollen wir anhand sehr unterschiedlicher Beispiele auf die fantastischen Möglichkeiten und Ergebnisseaufmerksam machen und den einenoder anderen vielleicht davon überzeugen, dass es neben der Technikauch noch andere, angestammteGebiete der Branche gibt, die durchauszum (auch wirtschaftlichen) Erfolgführen können.Schwerpunkt dieser erstenAusgabe von Druckmarkt»graphic arts« ist der aktuelle Wandkalender derPapierfabrik Scheufelen,der eine perfekte Symbiose alter Druckkünste undmoderner Drucktechnikgeschaffen hat.Daneben berichten wirüber eine ungewöhnlichePapierpräsentation beimSitzmöbel-Hersteller deSede, stellen ein neuesBuch über Frakturschriftenvor und präsentieren dieGewinner des disjährigen»Best in Print« DruckmarktAward 2005.Best Printin2005Natürlich und nicht umsonst wirdinnerhalb der Branche über Technologien und Techniken diskutiert. Druckenist nun einmal zur High-Tech-Applikation geworden. Was bei all diesen Diskussionen jedoch gerne vergessen wirdist, dass Drucken kein Selbstzweck ist,sondern bestimmte Aufgaben in einerWelt der Kommunikation zu erfüllenhat.Und diese Aufgaben haben unmittelbarmit den »grafischen Künsten« zu tun,wie man sie bis in die späten 1970erJahre noch kannte. Auch wenn mansich in Deutschland heute mit dernichtssagenden Bezeichnung DruckMedien-Industrie schmückt, heißt es inden englischsprechenden Ländern nochimmer »Graphic Arts«.Und dies nicht zu Unrecht. Denn nachwie vor gilt es, das geballte Wissenrund um Typografie, Lesbarkeit, Gestaltung und Bildverarbeitung, die Wirkung von Farbe, Druck, Papier und Weiterverarbeitung in die Waagschale zuwerfen, um im Sinne der Kunden überzeugend kommunizieren zu können.Druckmarkt W Heft 28 W April 2006 W 43

graphicartsNonplusultraWKann man alte Chromolithografien reproduzieren und drucken?Klar kann man, oder? Scheufelen hat den Versuch gewagt und stieß trotz modernster Produktionstechniken an die Grenzen der aktuellen grafischen Künste. Entstanden ist ein Kalender-Meisterwerk, das seinesgleichen sucht. Wenn man so will eineperfekte Lehrstunde in Sachen Druckkunst – gestern und heute.Von Dipl.-Ing. Klaus-Peter Nicolay»Nonplusultra« heißt der aufwändig veredelten Wandkalender derPapierfabrik Scheufelen für das Jahr2006, der Reproduktionen vonChromolithographien des frühen19. Jahrhunderts als zentrale Kunstwerke darstellt. Dabei ist »Nonplusultra« durchaus auch eine Verneigung vor den handwerlichen undkünstlerischen Leistungen frühererLithografen.Inspiriert durch die erste Ausstellung von Chromolithographien desfrühen 19. Jahrhunderts aus derSammlung von Professor Kurt Weidemann im September 2005 inLenningen, ließ Scheufelen diesehistorischen Schätze in Originalgröße reproduzieren und von derStuttgarter Agentur strichpunkt mitzeitgemäßem Design auf das Kalenderformat (62,2 cm x 80,2 cm)bringen. Repro, Papier und Druckwurde das Äußerste abverlangt:Veredelungen mit Sonderfarbenund Lacken, Heißfolienprägungen,Hochprägung und Filigranlaserstanzung – alles perfekt in Szene gesetzt durch unterschiedliche Papierfärbungen von hochweiß biselfenbein.44 W Druckmarkt W Heft 28 W April 2006Schlittschuh fahren»Dieser Kalender ist das Dokumenteiner lang anhaltenden Begeisterung, die vor mehr als anderthalbJahrhunderten begann«, schreibtKurt Weidemann in der erläuternden Einleitung zum Kalender. »Anihrem Anfang stand das Papier. Ausder Bütte geschöpft und getrocknet, hatte es eine sanft raue Oberfläche. In der ersten Hälfte des19. Jahrhunderts wurde das Papiervon Scheufelen mit einem Kreideaufstrich versehen, der zu einergeschlossenen, geglätteten Oberfläche führte. Das hat die Lithographen der damaligen Zeit geradezuin einen Wachtraum der Begeisterung versetzt. Mit ihren aus Uhrfederstahl gefertigten Schreibfedernkonnten sie in feinen Strichen undschwungvollen Bögen auf demfeinporigen Solnhofener Schieferstein geradezu Schlittschuh laufen.Das neue Papier in Kartonstärkegab alles in lupenfeiner Präzisionwieder.« So gesehen hat erst dasPapier die Kunstfertigkeit der Lithographen zu Höchstleistungen gebracht.Diese Zeit war der Schritt in die Industrialisierung, in der auch die Papierherstellung durch neue Verfahren modernisiert wurde. Im Lennin-ger Tal der Schwäbischen Alb entwickelte die Papierfabrik Scheufelenals »Erste deutsche Kunstdruck-Papierfabrik« die Papierqualitäten, dieden farbige Kunstdruck zum Blühenbrachten. Auf den Maschinen derPapierfabrik wurde das Kunstdruckpapier vor der Jahrhundertwendezu höchster Qualität entwickelt. DieVerfeinerung der Sorten und derAusbau des Produktionsprogrammsverbreitete sich danach über alleKontinente.Künstler oder Handwerker?Lihographen waren ohne ZweifelKönner im Schriftzeichnen, sie beherrschten das Ornament ebensowie die perspektivische Zeichnung,die raumaufteilende Kompositionund die harmonische Farbgebung.Die »Steinschreiber« waren zudemChemiegraphen mit eigenen Rezepten und Techniken.

graphicartsDie Lihographen vor etwa 150 Jahren waren wahre Könner im Schriftzeichnen, beherrschten das Ornament ebenso wie die perspektivische Zeichnung, die Kompositionund die harmonische Farbgebung.Die im Scheufelen-Kalender eingesetzten Motive aus der Sammlungvon Prof. Kurt Weidemann zeigendie Kunst der Chromolithographie,die von der Agentur strichpunkt(unten Geschäftsführer Jochen Rädeker) in zeitgemäßem Design aufdas Großformat gebracht wurden.Dabei zeugen die Zeichnungen mitschmückenden, dekorativen, ornamentalen Figuren und Bildern vonihrer Meisterschaft und von hohergestalterischer und handwerklicherFertigkeit.Die sich ihres Könnens und ihrerKunstfertigkeit durchaus bewusstenLithographen fuhren gelegentlichmit Zylinder und weißen Handschuhen in der Kutsche an ihren Druckwerkstätten vor. »Mit dem Handrücken fuhren sie ihren Gehilfenund Lehrlingen über die Stirn, umden Schweiß ihrer Anstrengungenbeim Schleifen und Polieren dermattseidenen Lithosteine zu überprüfen,« schildert Prof. Weidemann.Die ChromolithographieNach dem Polieren mit Filzpolster,Sauerkleesalz und Gummiarabikumbegann eine Kette langwieriger Manipulationen, bis eine Visiten-, Be-»Die Einheit von Kunst und Handwerk,« schwärmt der inzwischen 82jährige Weidemann, »war bei denMerkantillithographen der Generation nach Senefelder von bewundernswerter Geschlossenheit. Eswar ein unanfechtbarer Gleichklang,wie es ihn später nie mehr gebensollte«. Die Abbildung zeigt Prof.Kurt Weidemann in seinem Stuttgarter Atelier mit einigen Exemplaren aus seiner einzigartigen Sammlung an Chromolithographien ausder Mitte des 19. Jahrhunderts.suchs-, Geschäfts- oder Einladungskarte fertig gestellt war.Die Zeichnung wurde mit einer Graviernadel in eine Gelatineplatte geritzt und spiegelbildlich auf denpolierten Stein gepaust. Die Gravurwurde mit Leinöl eingerieben undeingeschwärzt und der Stein klargewischt, so dass Farbe in den gravierten Tiefen zurückblieb. VomOriginalstein erfolgte ein Umdruckauf gefeuchtetes Papier mit einemAufsteckkarton und einer Einteilungfür den Druckstein. Der wurde mitHolzessig oder Alaun fettempfänglich gemacht. Per Umdruckpresseübertrug man das Bild auf denStein und löste das Umdruckpapiermit einem Schwamm ab. Der Steinbrauchte Ruhe, bis das Fett eingezogen war. Er wurde dann mit Talkum eingestaubt, gummiert, getrocknet, mit einer Tinktur (ausAsphalt und Terpentin) ausgewaschen und eingewalzt. Die Zeichnung war jetzt sichtbar. Die Ober-fläche des Steins verband sich mitder Umdruckfarbe zu Kalkseife,einer chemischen Verbindung. DieZeichnung wurde danach mit Asphaltstaub und Talkum sowie Einbrennen gegen die nachfolgendeÄtzung widerstandsfähig gemacht.Die Ätzung verändert den Stein anseiner Oberfläche chemisch.Derfettempfängliche Stein wandelt sichin salpetersauren Kalk, der Wasserannimmt. Der Ätzvorgang wirddreimal wiederholt, der Stein wieder gummiert und getrocknet. Jetztkonnte der Stein in die Handpressegehoben werden, bevor Probedrucke und der Auflagendruck erfolgten. Die Mehrfarbigkeit erfolgte vonder auf den Stein gezeichnetenKonturplatte mit Passkreuzen vonmehreren Steinen und dem Druckvon bis zu zehn Farben übereinander.Technische UmsetzungAls ahnlich kompliziert müssen dieArbeitsgänge beschrieben werden,um mit den gegenwärtigen Reproduktions- und Drucktechniken eineoriginalgetreue Wiedergabe zu erreichen. Was der Scheufelen-Kalender schließlich erreichte, kann inunserem Heft nur andeutungsweiseDruckmarkt W Heft 28 W April 2006 W 45

graphicartswiedergegeben werden, da wederSonderfarben, noch Bronzen eingesetzt werden.Schließlich wurden von Reproduktion und Druck bei der Wandkalender-Produktion das Äußerste verlangt. Der Vierfarboffsetdruck imfrequenzmodulierten Raster wurdedurch insgesamt 25 Sonderfarbenergänzt, darunter fünf unterschiedlich hoch pigmentierte Goldtöne.»Was hier vorgeführt ist, darf alsNonplusultra – als ein schwer erreichbares Vorbild der Druckkunstbezeichnet werden«, so Prof. KurtWeidemann.Der Kalender hat bei der StuttgarterKalenderschau dann auch verdientermaßen (aber vielleicht nicht unerwartet) eine der sechs Goldmedaillen gewonnen. Der Idee, einsolches Werk anzugehen, gehörtPassion for PrintW»Ohne Print wäreunser Alltag ärmer, das Einkaufen langweiliger, die Kommunikation schwieriger. Denn wie kein anderes Medium berührt Print die Sinne und begeistert. Mitlanger Tradition und großer Zukunft.Mit dieser Leidenschaft beschreibt ein kleines Booklet die Motivation derHeidelberger Druckmaschinen AG, im Tiefgeschoss der Print Media Akademie eine permanente Ausstellung zu etablieren. Es geht um den Druck, esgeht um Geschichte und es geht um das Emotionale, das durch und mit demDruck entsteht. Muster zum Anfassen und Mitnehmen, Erläuterungen, wieeine Drucksache entsteht und eine faszinierende Media-Präsentation überdie Geschichte der Heidelberger Druckmaschinenfabrik sowie einige köstliche Raritäten aus über 100 Jahre Geschichte bilden die Stationen beimRundgang. Ein Abstecher, der sich lohnt. Eben weil Drucken fasziniert undZum Einsatz kamen für die zwölfKalenderblätter, das Titelbatt undzwei erläuternde Blätter Siebdruck,Relieflack, Farblos- und Heißfolienprägung, Hochprägung sowie Filigranlaserstanzung als auch matteund glänzende Offsetlacke. Je Blattwurden bis zu elf Farben und dreiDruckveredelungen eingesetzt.46 W Druckmarkt W Heft 28 W April 2006ebenso viel Lob wie den an Druckund Verarbeitung beteiligten Unternehmen. Und nicht zuletzt ist es dieGestaltung, die das Werk so überzeugend werden ließ. Mit Begeisterung hat die Mannschaft derAgentur strichpunkt in Stuttgart dasDesign des Kalenders geschaffen.Dazu Kurt Weidemann: »Die zeitgemäße Einbindung der Arbeitenihrer Berufsvorfahren in den Scheufelen-Kalender zeigt einen Höchststand der Technik. Nostalgie, diesich am Vorzüglichen orientiert, istsehr zeitgemäß und modern.«Drucksachen bezaubern können. V www.heidelberg.comGmund gewinnt Gold in StuttgartDer Wandkalender der Büttenpapierfabrik Gmund hat auf dem weltweitgrößten Kalenderwettbewerb in Stuttgart die höchste Auszeichnung, dasPrädikat »Gold«, gewonnen. Sein Titel »Worldclass« steht ganz im Zeichender nahenden Fußballweltmeisterschaft. In aufwändigem Design stellt erdie sieben Länder vor, die seit der ersten WM im Jahr 1930 den Titel geholthaben. Zusätzlich enthält der Kalender Hintergrundinformationen über dieFIFA-Regeln und die jeweiligen Nationalmannschaften und zeigt die Trikots– repräsentativ für jedes Land dargestellt. Für Idee und Konzeption zeichnetder Fotograph Conny J. Winter verantwortlich. Die praktische Umsetzungerfolgte durch die Druckerei Bertsch. Gmund lieferte die Auswahl ausgefaller Designpapiere. Der Kalender erscheint in limitierter Auflage und ist zumV www.scheufelen.deV www.strichpunkt-design.dePreis von 69 Euro zuzügl. Versandkosten erhältlich. V www.gmund.com

graphicartsFraktur mon AmourWDas Buch kommt daher wie die Bibel. Schwarz und dick. Undwill wohl auch eine sein. Doch, wie um Himmels willen, kommt des Satans Farbe, giftlila, in die Titelprägung und in den Blattschnitt? Wo sonst Gold glänzt, sticht nunPink ins Auge. Weil dieses Buch im rechten Stimmungstrend-Moment kommt, um diemajestetisch steif-formale Fraktur des Mittelalters (und der nachfolgenden Jahrhunderte) als »schräg« genug zu outen.Von Dipl.-Ing. Hans-Georg WenkeEs ist Zeit, sich wieder einmal in eintypografisches Abenteuer zu stürzen, das sich nicht genieren muss,die pure Lust zu sein.»Fraktur mon Amour« heißt derMini-Wälzer – und Liebe durchziehtdas ganze Werk. Liebe zum Detail,Lust am Gestalten, eine geradezuaufzreizend-erotische Typomanie –design-platonisch, selbstredend. EinBuch, das fasziniert. Vor allem die»Alten« unter den Setzern undTypographen (daher das ph), diesensiblen Gebrauchsgrafiker unddie jungen Designer auf der Suchenach dem nächsten Hype, die traditionsbewussten Buchdruckerebenso wie ultraprogressive TrendJunkies.Denn schlägt man die Seiten auf,erschlägt’s einen fast. So etwas hatman seit Jahren (fast will mansagen: seit Jahrhunderten) nichtmehr gesehen. Fraktur satt. Aber sosatt und mächtig, dass man garnicht genug davon bekommenkann. Und man blättert staunenddie Seiten und es nimmt des Wundern kein Ende, dass es so, sooo,sooooooo viele Frakturschriftenüberhaupt gibt!Die sind auf hunderten (!!!) vonSeiten in geduldiger Gleichmäßigkeit präsentiert, wobei das ungeheure Kunststück gelungen ist, dassin dieser normativen Schematikkeine Doppelseite wie die andereund eine jede ein Kunstwerk fürsich ist. Jeweils links die verzierte,verspielte, verrückte, vergötterte,verschmitze, verehrende, manchmalsogar regelrecht verulkende filigran-arabeske Bild-Zierform-Musterseite einzelner Typen der jeweiligen Schrift. Rechts brav, in züchtiger Mittelachse und einer gralsheiligen Drei-

»Fraktur mon Amour« heißt der Mini-Wälzer – und Liebe durchzieht das ganze Werk. Liebe zum Detail, Lust am Gestalten, eine geradezu aufzreizend-erotische Typomanie – design-platonisch, selbstredend. Ein Buch, das fasziniert.Vor allem die »Alten« unter den Setzern und Typographen (daher das ph), die sensiblen Gebrauchsgrafiker und die jungen Designer auf der Suche nach dem nächsten .