Soziologie-

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SoziologieLexikonHerausgegebenvonDr. phil. Gerd Reinholdunter MitarbeitvonProf. Dr. Siegfried LamnekundDr. Helga ReckerVierte AuflageR. Oldenbourg Verlag München Wien

Redaktion und Verfasser von ungezeichneten Stichwörtern:Prof. Dr. Siegfried Lamnek(Buchstaben A - K)Dr. Helga Recker(Buchstaben L - Z )Die Deutsche Bibliothek - CIP-EinheitsaufnahmeSoziologie-Lexikon / hrsg. von Gerd Reinhold unter Mitarb.von Siegfried Lamnek und Helga Recker. - 4. Aufl. München ; Wien : Oldenbourg, 2000ISBN 3-486-25440-5NE: Reinhold, Gerd [Hrsg.] 2000 Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbHRosenheimer Straße 145, D-81671 MünchenTelefon: (089) 45051-0, Internet: http://www.oldenbourg.deDas Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertungaußerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen.Gedruckt auf säure- und chlorfreiem PapierDruck: R. Oldenbourg Graphische Betriebe Druckerei GmbHISBN 3-486-25440-5

InhaltsübersichtVorwortVIIListe aller Mitarbeiter/-innenIXVerzeichnis der AbkürzungenXILexikon1

Vorwortzur vierten AuflageDie Soziologie entwickelt sich deutlich zu einer zentralen Wissenschaft. Tatsächlich istdie Berücksichtigung soziologischer Zusammenhänge heute (mehr denn je) eine Notwendigkeit: In allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens (Wirtschaft, Politik, Recht,Kunst, Technik usw.) handeln die Menschen aufgrund sozial-kultureller Bedingungen,d.h. gemäß spezifischen sozialen und kulturellen Normen, Werten, Verhaltensmusternusw., die es um des friedlichen Miteinanders willen zu erkennen bzw. zu achten gilt unddie eben von Soziologen systematisch erforscht und analysiert werden. Vor allem auchSoziologen sind es, die auf die zu gewärtigenden sozialen Folgen technischer Innovationen (vgl. die sozialwissenschaftliche Technikfolgen-Abschätzung) oder auf die zu erwartenden Auswirkungen des Interagierens der Menschen mit den sozialen und natürlichenUmwelten bzw. auf die entsprechenden Rückwirkungen auf Mensch und Gesellschaft(vgl. das Bemühen der Humanökologie) hinweisen. Allen an den Ergebnissen soziologischen Denkens und Forschens Interessierten, von den Studierenden über die aufgeschlossenen Laien bis zu den Mitgliedern der „Wissenschaftsgemeinschaft", wird hiermitein Sachwörterbuch zur Hand gegeben, das allein schon durch seine 120 Großstichwörter(empirische Sozialforschung, Gesellschaft, soziale Normen, Soziologie usw.) die wesentlichen Forschungsgebiete und -ergebnisse des Faches erschließt. Nach den Kriterien fürdie Auswahl und den Umfang der Stichwörter für dieses Lexikon hätte Spielraum fürmanche Alternative bestanden; Verbesserungsvorschläge auch der Benützer (über denVerlag an den Herausgeber) werden gern berücksichtigt werden. Ich bedanke mich beiallen Mitarbeiter(inne)n für ihre wissenschaftlichen Beiträge; besonderer Dank gebührtFrau Dr. Helga Recker und Herrn Prof. Dr. Siegfried Lamnek für ihre umfassende Mitwirkung. Herr Diplom-Volkswirt Martin M. Weigert vom Verlag hat auch die Entstehungdieses Buches durch seine Erfahrung erheblich gefördert.Die dritte Auflage wurde vollständig überarbeitet und um zwölf neue Großstichwörter erweitert. In der vierten Auflage wurde der gesamte Text nochmals kritisch durchgearbeitetund verbessert.Dr. Gerd ReinholdVII

Liste aller Mitarbeiter/-innenDr. Henri Band, Humboldt-Universität zu BerlinDr. Antonius M. Bevers, Katholische Universität Brabant, NiederlandeDr. Cornelius Bickel, EckernfördeDr. Hans Hartwig Bohle, Universität BielefeldProf. Dr. Volker Bornschier, Universität ZürichPD Dr. Karl-Werner Brand, MPS MünchenProf. Shigeru Cho, Universität Kobe/JapanProf. Dr. Lars Clausen, Universität zu KielPD Dr. phil. Detlev Claussen, Universität GH DuisburgProf. Dr. Andreas Diekmann, Universität BernProf. Dr. Angelika Diezinger, FH EsslingenPD Dr. Rainer Döbert, WZB Berlino.ö. Univ.-Prof. Dr. phil. Gerald L. Eberlein, Technische Universität MünchenPD Dr. Klaus Eder, Humboldt-Universität zu BerlinProf. Dr. Jürgen Friedrichs, Universität zu KölnPD Dr. Regine Gildemeister, Universität Erlangen-NürnbergProf. Dr. Irmela Gorges, FHVR BerlinProf. Dr. Bettina Gransow, Universität BochumDr. rer. soc. Christian Gülich, Universität BielefeldDr. Rudolf Hamann, HamburgProf. Dr. Horst J. Helle, Universität MünchenProf. Dr. Karl-Heinz Hillmann, Universität WürzburgDr. Ute Hoffmann, WZB BerlinDr. Harald Homann, Universität TübingenProf. Dr. Stefan Hradil, Universität MainzProf. Dr. Klaus Hurrelmann, Universität BielefeldProf. Dr. Hans Joas, Freie Universität BerlinPD Dr. Lucian Kern, Universität der Bundeswehr, MünchenDr. Michael Kerres, Ruhr-Universität BochumProf. Dr. Heinrich Keupp, Universität MünchenDr. Marie-Luise Klein, Ruhr-Universität BochumDr. Thomas Klein, Universität KarlsruheProf. Dr. Hartmut Kliemt, Universität GH DuisburgDr. Ute Kort-Krieger, Technische Universität MünchenDr. phil. Rüdiger Kramme, Humboldt-Universität zu BerlinDr. Peter Kremser, MünchenProf. Dr. Friedhelm Kröll, NürnbergUniv.-Prof. Dr. Gottfried Küenzlen, Universität der Bundeswehr, MünchenProf. Dr. Thomas Kutsch, Universität BonnDr. Horst Laatz, Ruhr-Universität BochumProf. Dr. Siegfried Lamnek, Kath. Universität EichstättProf. Dr. Rüdiger Lautmann, BremenPD Dr. Gero Lenhardt, Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, BerlinProf. Dr. Kurt Lenk, Erlangeno.ö. Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Lipp, Universität WürzburgProf. Dr. Völker Meja, Memorial University, St. John's/KanadaPD Dr. Max Miller, Universität HamburgProf. Dr. Walter Müller, Universität MannheimDr. Richard Münchmeier, Deutsches Jugendinstitut MünchenIX

Prof. Dr. Dr. h.c. Rosemarie Nave-Herz, Universität OldenburgDr. Heinz-Herbert Noll, ZUMA e. V/MannheimProf. Dr. Dr. Otto-Peter Obermeier, MünchenProf. Dr. Ilona Ostner, Universität BremenUniv.-Prof. Dr. Werner Patzelt, Technische Universität DresdenDr. Dieter Pfau, MünchenProf. Dr. Dr. Gertrud Pfister, Freie Universität BerlinProf. Dr. Richard Pieper, Universität BambergPD Dr. rer. soz. Dr. phil. Bernhard Pié, Universität BayreuthProf. Dr. rer. pol. Willi Pöhler, Ruhr-Universität BochumDr. Jürgen Pohl, Technische Universität MünchenProf. Dr. Max Preglau, Universität InnsbruckProf. Dr. Wolfgang U. Prigge, Universität MainzPD Dr. Werner Rammert, Universität BielefeldDr. Helga Recker AOR, Universität MünchenDr. Karl-Siegbert Rehberg, Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule AachenProf. Dr. Dr. Helga Reimann, Universität AugsburgProf. Dr. Horst Reimann, Universität AugsburgDr. phil. Gerd Reinhold, MünchenProf. Dr. Wolfram Reulecke, Ruhr-Universität BochumProf. Dr. Klaus-Georg Riegel, Universität TrierProf. Dr. Klaus F. Röhl, Ruhr-Universität BochumDr. Bernd Rohrmann, The University of Melbourne, AustralienProf. Dr. Volker Ronge, Bergische Universität GH WuppertalProf. Dr. Christoph Rülcker, Universität GH DuisburgDr. Reinhard Sander, Technische Universität MünchenProf. Dr. Dr. Dr. Demosthenes Savramis, BonnProf. Dr. Bernhard Schäfers, Universität KarlsruheUniv. Doz. Dr. Brunhilde Scheuringer, Universiät SalzburgProf. Dr. Josef Schmid, Universität BambergProf. Dr. Dr. Michael Schmid, Universität der Bundeswehr, MünchenPD Dr. Peter-Ernst Schnabel, Universität Bielefeldo. Univ. Prof. Dr. Johann August Schülein, Wirtschaftsuniversität WienProf. Dr. Arnold Schwendtke, TrierPD Dr. Hermann Schwengel, Freie Universität BerlinDr. Klaus Seeland, Eidgenössische Technische Hochschule ZürichDir. und Prof. Dr. Johannes Siegrist, Universität MarburgPD Dr. Ilja Srubar, Universität KonstanzProf. Dr. Nico Stehr, University of British Columbia, KanadaProf. Dr. Franz Stimmer, Universität LüneburgProf. Dr. Erhard Stölting, Freie Universität BerlinDr. Frank Thieme, Ruhr-Universität BochumProf. Dr. Hans Peter Thum, Staatl. Kunstakademie DüsseldorfDr. Elfriede Üner, MünchenProf. Dr. Heinz-Günter Vester, Universität WürzburgProf. Dr. Dieter Voigt, Ruhr-Universität BochumProf. Dr. Gerd Vonderach, Universität OldenburgProf. Dr. Thomas Voss, Universität LeipzigProf. Dr. Erich Weede, Universität zu KölnProf. Dr. iur. Kurt Weis, Technische Universität MünchenDir. und Prof. Dr. G. Wiswede, Universität zu KölnProf. Dr. Stephan Wolff, HildesheimProf. Dr. Arnold Zingerle, Universität BayreuthX

Verzeichnis der AbkürzungenAbk.BR Deutschlandbspw.DDDRdgl.DGSF&Egem.GGG.R.Hg.H.R.i. d. R.i. e. S.i. w. S.Jh.KZfSSm. a. W.MEWMitt.R.D.s.s. a.u. a.u. a. m.v. a.SBZS.L.SZu. k Deutschland vor der Vereinigung mit der ehemaligen-»DDR am 3.10.1990beispielsweiseDeutschland (Gesamtdeutschland nach der Vereinigung vonBR Deutschland und DDR)Deutsche Demokratische Republik (auf dem Gebiet der - SBZetablierter sozialistischer Staat, der am 3.10.1990 mit der- BR Deutschland vereint wurde)dergleichenDeutsche Gesellschaft für SoziologieForschung und EntwicklunggemäßGrundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland („Bonner Grundgesetz" vom 23.05.1949)Gerd ReinholdHerausgeberHelga Reckerin der Regelim enge(re)n Sinnim weite(re)n SinnJahrhundertKölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologiemit anderen WortenMarx/Engels-Werke (Berlin-Ost 1956 ff)MitteilungenRainer Döbertsiehesiehe auchunter anderemund andere(s) mehrvor allemSowjetische Besatzungszone Deutschlands (1945-1955)Siegfried LamnekSüddeutsche Zeitung (München)unter Umständenvon/vomVersuchsperson(en)versusweiter untenWirtschaft und Gesellschaft (Werk von Max Weber, postum 1922 ffin Tübingen erschienen)Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialwissenschaftenzum BeispielZeitschrift für SoziologieXI

AbbildtheorieAbsolutismusAAbbildtheorie- Widerspiegelungstheorieaberrantes Verhaltenein -»abweichendes Verhalten, bei demdie Geltung der verletzten -»Norm nichtbestritten wird. A. wird deshalb in der Regel verborgen geschehen und verheimlicht (wie etwa das kriminelle Verhalten)im Gegensatz zum nonkonformen odernon-konformistischen Verhalten, das dieNorm nicht akzeptiert und/oder die Veränderung der verletzten Norm zum Zielhat und deshalb die Aufmerksamkeit derGesellschaft geradezu sucht.Abhängigkeitbezeichnet bestimmte Verhaltensdispositionen eines Individuums, wie z.B.:Passivität, Suche nach Unterstützung(instrumenteile A.) oder auch das Bemühen um Kontakt und um positive Reaktionen ( emotionale A.)Abhängigkeit, statistische1. als s. A. wird der Zusammenhang eines Merkmals mit einem anderen imSinne einer Korrelation oder Kovariation bezeichnet;2. s.A. meint andererseits aber auchmehrere Messungen gleicher Variablen,an der gleichen Population oder -»Stichprobe (z.B. -»Panel) (-»Stichprobe, abhängige; -»Variable, abhängige).Abhängigkeit, funktionellef. A. bezeichnet in der Betriebs- und Organisationssoziologie die A. der Arbeitskräfte von sachlichen und technischen Organisationsmerkmalen.Abhängigkeit, hierarchischeh.A. meint bestimmte Formen des Arbeitsablaufs, die sich aufgrund von Anweisungen der Vorgesetzten ergeben,also sich aus einem Unterstellungsverhältnis in einem hierarchisch strukturierten Anordnungs- oder Befehlssystem ergeben.Abhängigkeitsbedürfnis1. das A. des Kleinkindes ist ein durchdas positive Erleben von Zuwendungdurch die Bezugsperson(en) erworbenesVerlangen nach dieser Zuwendung. Esbildet andererseits die Grundlage für dieBereitschaft des Kindes, sich den -»Erwartungen und -»Normen der -»Bezugspersonen anzupassen;2. als Gesellungsbestreben bezeichnetA. das Bedürfnis nach sozialen Kontakten, Freundschaften und anderen sozialen Bindungen oder auch nach Einbettung in eine und Anerkennung in einersozialen -»Gruppe.AbnormalitätA. oder auch- Normwidrigkeit ist einehäufig negativ gemeinte Bezeichnungfür einen Menschen, der aufgrund seinerkörperlichen, geistigen und/oder seelischen Merkmale, die nicht der allgemeinherrschenden Auffassung von -»Normalität entsprechen, anders ist. Das Urteilder A. hat in der negativen Bewertungoft eine allgemeine -»Stigmatisierungdes Betroffenen zur Folge.Absolutismuseine in Europa vom 16. bis 18. Jahrhundert bestehende Herrschaftsform (z.B.der Sonnenkönig Ludwig XIV (1638—1715) oder Friedrich II von Preußen(1740-1786)), in der ein Herrscher,meist ein Monarch, unumschränkte-»Macht ausübte. Die Gewaltausübungwird nicht geteilt, nicht kontrolliert undnicht beschränkt; Beteiligungsversucheanderer gesellschaftlicher Gruppierungen werden nicht zugelassen; verfassungsrechtliche oder andere gesetzlicheMitwirkungen existieren nicht.Der A. legitimiert sich durch Naturgesetze oder durch Berufung auf Gott. Historisch gesehen ist der A. die Antwortauf die konfessionellen Bürgerkriegedes 16. Jahrhunderts und auf die offensichtliche Regierungsunfähigkeit der-»Stände im -»Feudalismus.Faktisch beruht die Macht des A. auf einem verläßlichen stehenden Heer, des1

Abstand, sozialersen höhere Ränge die Verbindung zu denoberen Ständen herstellen, und auf dem„Beamtentum", das die Ordnung imStaat gewährleisten, die Organisationund die Bearbeitung der wachsendenStaatsaufgaben vornehmen und für diewirtschaftliche und soziale Entwicklungdes Bürgertums sorgen soll.Der aufgeklärte A. bezeichnet eine modifizierte und historisch spätere Formdes A., bei der der Herrscher sich an den- Normen der Rechts Staatlichkeit, derPflichterfüllung und Fürsorge für dieUntertanen (Herrscher als „erster Dienerseines Staates") orientiert.Abstand, sozialer-»Distanz, sozialeAbstoßung, soziale1. Begriff des im 18. Jh. von den französischen Materialisten, in Analogie zuranorganischen Welt, entwickelten sozialen Gravitationsprinzips. Das, nach derNewtonschen Mechanik, in der Bewegung zum Ausdruck kommende Wirkender elementaren physikalischen KräfteAnziehung und A. wurde auf das moralische und soziale Leben übertragen.Danachwirkenemotional-positiveAspekte wie Liebe, Lust etc. als Anziehung; negative Dinge wie Haß, Schmerzetc. als A. und werden gemieden;2. auch in der psychoanalytischen Theorie Freuds können die beiden Grundtriebe (Eros und Destruktionstrieb) inAnalogie zu dem anorganischen Gegensatz von Anziehung und A. ausgemachtwerden;3. soziale A. meint das Ausmaß deremotionalen Ablehnung oder Abneigung zwischen Personen, die deshalbmeist zu einer geringen Interaktionsund Kommunikationsdichte führt. Dieser Begriff wird vornehmlich in der Soziometrie als Gegenbegriff zu Anziehung bzw. -»Attraktion verwandt undbezieht sich auf die Dimension der Sympathie bzw. Antipathie zwischen Mitgliedern von Gruppen.2AbwälzungAbstraktionlat.: abstrahere abziehenmeint das Herausarbeiten bestimmterMerkmale, Eigenschaften oder -»Relationen von konkreten Objekten, um solche mit ähnlichen Merkmalen in Klassen zusammenfassen zu können. Dabeiwerden andere Merkmale der Gegenstände nicht weiter beachtet. Insofernwerden solche Begriffe als abstrakt bezeichnet, die bestimmte Sachverhaltenur unter ganz speziellen Gesichtspunkten betreffen, jedoch die konkrete Vielfalt der Eigenschaften außer acht lassen.Durch das Absehen von anderen Merkmalen können sonst durchaus unterschiedliche Objekte bezüglich der gemeinsamen Attribute zu Klassen zusammengefaßt werden. Dies ist ein ersterSchritt, zur Theoriebildung über wissenschaftliche Begriffe oder Typen, also zueiner Erklärungsfunktion zu kommen.Man unterscheidet zwischen generalisierender A., bei der die gleichen Merkmale verschiedener Objekte hervorgehoben werden von der isolierenden A., beider bestimmte Eigenschaften von den zugehörigen Objekten gedanklich getrenntwerden und mit anderen Eigenschaftenzusammengefügt einen abstrakten Gegenstand oder abstrakte Beziehungen ergeben. Diese -»Theorien beziehen sichvorrangig auf die abstrahierten Merkmale, Eigenschaften und Beziehungenund versuchen, die Zusammenhängezwischen diesen zu erklären.Durch die A. wird die konkrete Wirklichkeit aus einem speziellen Blickwinkel betrachtet, bei dem dann die für diejeweiligen Erkenntnisziele relevantenMerkmale der Realität im Vordergrundstehen. Dies führt dazu, daß gleiche Objekte, unter verschiedenen wissenschaftlichen Perspektiven oder erkenntnisleitenden -»Interessen betrachtet, durch dieA. unterschiedlichen -»Klassifikationensubsumierbar erscheinen.Abwälzung1. in einem allgemeinen Sinne meint A.,die von einem geforderten Leistungen

Abwanderungnicht zu erbringen, sondern sie voneinem anderen zu erwarten;2. nach G. Simmel meint A. die Tatsache,daß an Personen gerichtete Verhaltenserwartungen von diesen nicht realisiertwerden, weil sie in funktional differenzierten, hierarchisch organisierten undmehr oder weniger großen und anonymen sozialen Systemen leben und dieErwartungshaltung umkehren: das abstrakte soziale Gefüge habe statt seinerdie geforderten Leistungen zu erbringen.Abwanderungeine Bevölkerungsbewegung aus Gebieten, die ihren Bewohnern aufgrund derdortigen Struktur wenig soziale Aufstiegsmöglichkeiten bietet oder diedurchKrisenerscheinungen(Wirtschaftskrise, Kriege, Naturkatastrophen)nicht mehr in der Lage sind, die Menschen zu ernähren, in wirtschaftlich attraktivere Gebiete. A. können prinzipiellüberall dort geschehen, wo es strukturelle Ungleichgewichte - gleich welcherDimension - gibt.Die A. erfolgt meist vom Land zur Stadthin und ist vorrangig ein Problem desWandels von der Agrar- zur - Industriegesellschaft, da das Problem der A. dortauftaucht, wo aufgrund neuer, rationeller Technologien Teile der Landbevölkerung nicht mehr ökonomisch sinnvollauf dem historisch gewachsenen Agrarsektor beschäftigt werden können. Andererseits gibt es aus Gründen unterschiedlicher Wohn- und Lebensqualitätauch die Stadtflucht als A.Durch den schnellen technologischenWandel kommt es jedoch auch innerhalbder Industrie- und Rohstoffwirtschaft zuStrukturänderungen, die eine A. nachsich ziehen, indem industrielle Ballungszentren neu entstehen bzw. an anderer Stelle abgebaut werden (z.B.:Nord-Süd-Wanderung).Die A. und Zuwanderungszahlen werden innerhalb der Bevölkerungsstatistikregistriert und ausgewertet, um dieseBevölkerungsbewegungen kontrollierenabweichendes Verhaltenund - wenn möglich - auch planen zukönnen.abweichendes VerhaltenA.V. ist eine Teilklasse des Verhaltensund deckt sich nur zum Teil mit kriminellem oder - delinquentem Verhalten,das als Verstoß gegen kodifizierte- Normen definiert ist. Es gibt - wennman nur auf die Differenzierung zwischen abweichend und delinquent rekurriert, ohne die Abweichung näher zudefinieren - fünf Arten des Verhaltens:1) -»konforme Verhaltensmuster (z.B.einer regelmäßigen Arbeit nachgehen),2) abweichende, aber nicht delínqueteVerhaltensweisen (z.B. Verstöße gegendie Etikette), 3) delinquentes, aber nichtals abweichend empfundenes Verhalten(z.B. Schwarzmarktgeschäfte in Notzeiten); 4) Handlungen, die sowohl abweichend als auch delinquent sind (z.B.Raub), und 5) solche, die eigentlich konform sind, aber als abweichend definiertwerden (z.B. zu Unrecht erfolgende- Kriminalisierung). Das bedeutet, daßeine Bestimmung abweichenden Verhaltens als ein solches, das kodifizierteNormen verletzt, zu eng erscheint.Manche Autoren definieren daher abweichendes Verhalten als Verletzung gesellschaftlich institutionalisierter Erwartungen, wobei jedoch die Problematikauftaucht, daß bei bestimmten Personengruppen („Kriminellen", „Asozialen") gesellschaftliche Erwartungen a. V.existieren; ein eigentlich a.V. dieserPersonengruppe entspricht aber diesenErwartungen, ist somit also zugleichkonform. Demnach kann jedes Verhalten - je nach Erwartungen - sowohlkonform wie abweichend sein, was inden Aussagen der Subkulturtheoriedeutlich zum Ausdruck kommt. DerPhänomenbereich des a.V. ist also zunächst nicht ausreichend eingegrenzt.A.V. kann nun bezeichnet werden alsein Handeln von Personen oder - Gruppen, das nicht den für Interaktionsbeziehungen in einer Gesellschaft odereiner ihrer Teilstrukturen gültigen Re3

abweichendes Verhaltengeln, Vorschriften, Verhaltenserwartungen oder Normen entspricht. Als Synonym für abweichendes Verhalten wirdoft der Begriff - Devianz verwendet.Paradebeispiel für Devianz ist die vonStrafgesetzen und Strafverfolgungsinstanzen festgelegte - Kriminalität.Devianz ist aber ebenso Bezeichnungfür Eigenschaften und Verhaltensweisenvon körperlich, geistig oder psychischBehinderten sowie von Angehörigenvon rassischen, politischen, kulturellen,sexuellen oder anderen - Minderheiten. Die Kriminalität ist sicher die spektakulärste und wissenschaftlich ammeisten bearbeitete Form des a. V. Allenals deviant bezeichneten Verhaltensweisen ist gemeinsam, daß sie mehr oderweniger deutlich von bestimmten gesellschaftlich als allgemeingültig erachtetenund anerkannten Normen abweichen.Analytisch lassen sich vier Konzeptionena. V. trennen. (1) Die statistische Perspektive, bei der sich die Abweichung ausdem Ausmaß der Differenz zu einem mathematisch-durchschnittlichen Verhaltender Menschen einer Gesellschaft ergibt.Bei dieser Konzeption von a. V. kommtman aber an einer Berücksichtigung negativer Bewertung der Abweichung nichtvorbei, denn sehr stark ausgeprägtes Organisationstalent ist auch eine Abweichung vom Durchschnitt, ohne a.V. zusein. (2) Die psychopathologische Konzeption, bei der a.V. auf medizinischeKrankheitsbilder zurückgeführt wird.Dieses Verständnis kommt vor allem inder Psychiatrie und im Strafvollzug zurAnwendung. (3) Funktionalistische Konzeptionen, bei denen bestimmte abweichende Verhaltensweisen als - funktional oder - dy sfunktional für die Entwicklung und Erhaltung eines Systems angesehen werden, denn auch dysfunktionales a.V. kann auf einer übergeordnetenEbene funktional und daher als integralerBestandteil des Systems betrachtet werden. (4) Normative Konzeptionen, beidenen Devianz als Abweichung von sozial gesetzten Normen verstanden wird.4abweichendes VerhaltenDabei können zwei verschiedene Positionen unterschieden werden: (a) Es gibt denabsolutistisch-normativen Ansatz, beidem man von allgemeingültigen, feststehenden Normen des „Normalen" ausgeht. A.V. wird hier durch die Differenzeines Verhaltens zu diesen Normen definiert. (b) Es gibt aber auch die relativistisch-normative Theorie, bei der mandavon ausgeht, daß die Feststellung vonDevianz durch Aushandlungsprozessevon Interaktionspartnern in konkreten Situationen geschieht.Auf soziologisch-theoretischer Ebenekann man analytisch vier grundlegendeForschungsperspektiven unterscheiden:(1) Der mikrosoziologische Erklärungsversuch. Die unter diesem Label zusammengefaßten theoretischen Ansätze richten sich zumeist auf die primären Sozialisationsbeziehungen. Hier wird ein Zusammenhang zwischen der (früh)kindlichen - Sozialisation und dem a. V. vonKindern, Jugendlichen und Erwachsenenvermutet. Ein Zweig dieser Theorierichtung geht dahin, daß eine geschädigte'primäre Sozialisation zu unzureichenderObjektbindung und Gewissensbildungführt, die dann ihrerseits Ursache vona.V. sind. Eine andere Richtung der-» mikrosoziologischen Ansätze vermutet, inkonsistente Erziehungs- und Sanktionsmethoden der Eltern in der familialen Sozialisation würden das a.V. derKinder und Jugendlichen hervorrufen.(2) Schicht- und - subkulturspezifische Erklärungsansätze. Im Rahmen dieser Theorie werden gestörte Sozialisationsprozesse als durch den sozialstrukturellen Kontext verursacht analysiert. Siegehen über die mikrosoziologischen Ansätze insoweit hinaus, als sie die soziokulturellen und sozioökonomischen Bedingungen der Familiensituation als Determinanten der primären Sozialisationin die Analyse einbeziehen. Nach dieserTheorie besteht ein Zusammenhang zwischen den objektiven Lebensbedingungen und den daraus resultierenden materiellen, kulturellen und psychischen Res-

abweichendes Verhaltensourcen der Familie einerseits und einermangelhaften primären Sozialisation andererseits. Die unzureichende primäreSozialisation beinhaltet die fehlerhafte Internalisierung sozialer Normen unddamit in der Folge a. V.(3) -»Makrosoziologische Erklärungsansätze. In diesem Theorienbündel sinddrei Ansätze zu nennen: die (a) -»Anomie-Theorie, die (b) materialistische- Gesellschaftstheorie und (c) die Theorien -»sozialen Wandels, (a) AnomieTheorie: Bestimmten gesellschaftlichenGruppen, insbesondere den unteren sozialen Schichten, fehlen aufgrund sozialstruktureller Restriktionen die legitimen Mittel zur Erreichung der kulturellgesetzten Erfolgsziele. Die Angehörigendieser Gruppen geraten unter Druck undsehen als faktisch einzige Alternative,sich illegitimer Mittel zur Zielerreichung zu bedienen, (b) MaterialistischeGesellschaftstheorie. Auf der Grundlageder materialistischen Gesellschaftstheorie entwickeln Vertreter dieser Theorierichtung einen gesellschaftskritischenAnsatz. Da die Lohnarbeiter durch dieTrennung von kollektiver Produktionund privater Aneignung des Reichtumsweitestgehend von der gesellschaftlichen -»Partizipation ausgeschlossensind und ihre Lebenssituation durch Besitz- und Machtlosigkeit gekennzeichnetist, stellt die Umgehung gesetzlicherNormen für sie die einzige Möglichkeitdar, über das durch ihre -»Klassenlagebeschränkte Maß hinaus am gesellschaftlichen Reichtum teilzuhaben, (c)Theorien sozialen Wandels. Die Internalisierung gesellschaftlicher Normen undOrientierungen durch das Individuum inder Sozialisation wird durch eine vonden tatsächlichen Normen abweichendeEntwicklung der Gesellschaft erschwertund konterkariert. Es gibt verschiedenegesellschaftliche Entwicklungen, diea. V. als Massenphänomen entstehen lassen: die Veränderung der Familienstruktur, der Wandel von -»Werten und Normen sowie auch technische und wirt-abweichendes Verhaltenschaftliche Veränderungen. Die Normenwerden aufgrund des Konflikts mit dendifferierenden Erfordernissen der Weltfehlerhaft oder unvollständig internalisiert, und dies führt zu a. V.(4) Als letzte Theorierichtung soll der labeling approach genannt werden.Dieser geht von einer - gegenüber denbisher benannten Forschungsansätzen umgekehrten Konzeption aus. A. V. wirdnicht mehr als durch das Individuum verursacht betrachtet, indem es von geltenden Normen - aus welchen Gründenauch immer - abweicht, sondern es entsteht durch gesellschaftliche Gruppen,die ein bestimmtes Verhalten als a. V. bezeichnen. Das Etikett „abweichend" istalso keine Qualität des Verhaltens, sondern wird diesem durch Zuweisung oktroyiert. Die Gruppen definieren, welches Verhalten abweichend ist. Damitwird die Definition a. V. zu einer Frageder gesellschaftlichen Macht- und Herrschaftsverhältnisse. Wie z.B. die nähereUntersuchung von Kriminalstatistikenzeigt, ist die durch sie registrierte Kriminalität nur ein kleiner und verzerrter Ausschnitt aus der tatsächlichen Devianz; dieDefinition von Devianz als Kriminalitätdurch diese Statistiken beruht also aufSelektionsprozessen durch bestimmtegesellschaftliche Gruppen. Die Bezeichnung eines Verhaltens als abweichend istzudem abhängig von den vorhandenen- Stereotypen, die grundlegende »Einstellungen und Orientierungen für dasAlltagshandeln bestimmen. Die so geprägten Alltagsinteraktionen tragen - gerade im Lichte des relativistisch-normativen Theorieansatzes - zur Definitionvon Devianz bei. Der labeling approachuntersucht zudem die Organisationsstrukturen, die Handlungsspielräumeund die Definitionsmacht der mit den Sozialkontrollen betrauten -»Institutionen,um herauszufinden, inwieweit diese zurDefinition des a. V. beitragen.Bei aller Differenzierung der Definitionen, Phänomene und theoretischen Ansätze lassen sich doch Gemeinsamkeiten5

Abweichungad-hoc-Gruppea.V. entwickeln: Zunächst einmal gilt,daß a. V. ubiquitär ist, d. h. in allen Gesellschaften auftritt. Damit erhält dasa.V. die Eigenschaft der „Normalität".A.V. ist aber auch in einem zweitenSinne normal: Es ist ein Verhalten, das wie konformes Verhalten auch - normativ, situativ, evaluativ und motivationaldeterminiert ist, wenngleich vielleichtmit anderen Ausprägungen. Aber dieTatsache dieser doppelten Normalitätmit der definitorischen Relativität derAbweichung sollte den Soziologen voreiner voreiligen negativen Beurteilungdieses Phänomens bewahren.Lit.: Lamnek, S.: Theorien abweichenden Verhaltens, München 1988 3 ; Sack,F.: Probleme der Kriminalsoziologie, in:König, R. (Hrsg.): Handbuch der empirischen Sozialforschung, Bd 12, Stuttgart1978, S. 192ff.; Wiswede, G.: Soziologie abweichenden Verhaltens, Stuttgart19792Prof. Dr. S. Lamnek, EichstättAbweichung Devianzachieved status Position, erworbeneaction-»Handlung»Handelnaction research- Aktionsforschungactor Akteur HandelnAdaption1. sensory adaption meint die - Anpassung des Organismus, besonders die derSinnesorgane, an den herrschenden Intensitätslevel von permanenten Reizen.Für Geruchs- und Hautsinn bedeutet dieA., daß solche Dauerreize kaum nochwahrgenommen werden, da eine Erhöhung der Wahrnehmungsschwelle durchdas Dauemiveau die Folge, ist. Für denGesichtssinn bedeutet A. die Einstellung6der Augen auf die jeweils herrschendeHelligkeit;2. die strukturell-funktionale Theorievon Parsons meint mit A. eines von vierProblemen, die ein System in Auseinandersetzung mit seiner »Umwelt bewältigen muß. Diese Probleme (nebenA. noch -»Integration, -» Zielerreichung,- pattern maintenance) kennzeichnensowohl das System als auch seine Untersysteme, die jeweils auf eines dieserProblemfelder funktional zugeschnittensind. Durch den Prozeß der A. wird jedoch nicht nur das System, sondern auchseine Umwelt verändert;3. soziale A. -» Anpassung, sozialeAdelim -»Feudalismus neben dem -»Klerus,den Bauern und den - Bürgern durchGeburt privilegierter -»Stand mit besonderem Standesethos, Lebensformen und- Elitebewußtsein. Mit der Übertragungeines Lehens durch den König, das demA. als Großgrundbesitzer ein arbeitsloses Einkommen bescherte, war dieser indie Lage versetzt, für den Herrscherdienstbar und funktional zu sein.Später entwickelte sich eine zweite A.gruppe, die die nötig gewordene Verwaltungsarbeit bei Hofe erledigte. Die dritteA.-gruppe, die der freien Ritter, entstandvornehmlich zur Zeit der Kreuz- undKolonialisationszüge. Im Verlauf des- Absolutismus verlor der A. zunächstseine kriegerischen und politisch-ökonomis

Dr. Helga Recker (Buchstaben L-Z) Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Soziologie-Lexikon / hrsg. von Gerd Reinhold unter Mitarb. von Siegfried Lamnek und Helga Recker. - 4. Aufl. - München ; Wien : Oldenbourg, 2000 ISBN 3-486-25440-5 NE: Reinhold, Gerd [Hrsg.]