TTB 216 - Norton, Andre - Blut Der Sternengötter

Transcription

ANDRE NORTONBLUTDER STERNENGÖTTER(STAR GATE)Deutsche ErstveröffentlichungERICH PABEL VERLAG KG RASTATT/BADEN

Titel des Originals:STAR GATEAus dem Amerikanischen von Susi-Maria RoedigerTERRA-Taschenbuch Nr. 216TERRA-Taschenbuch erscheint vierzehntägig imErich Pabel Verlag KG. 7550 Rastatt, PabelhausCopyright 1958 by Harcourt Brace Jovanovich, Inc.Redaktion: G, M. SchelwokatVertrieb: Erich Pabel Verlag KG.Gesamtherstellung: Zettler, SchwabmünchenEinzelpreis: 2,80 DM (inkl. 5,5% MWST)Verantwortlich für die Herausgabe in Österreich:Waldbaur Vertrieb, A-5020 Salzburg,Franz-Josef-Straße 21Printed in Germany Juli 1973Scan by Brrazo 11/20064

1.Bisher war es eine merkwürdig kalte Jahreszeit gewesen.Kein Schnee, nicht einmal oben auf den Berggipfeln,sondern warme Winde, die über die stoppeligen Felderwehten. Anstelle der Kälte hatte eine allgemeine Trokkenheit eingesetzt, die tödlich war für Wald und Weideland. Und das Wetter war nur ein Teil der seltsamen Geschehnisse auf Gorth – zumindest in den von Menschenbewohnten Gegenden – seit die Sternenlords sich zurückgezogen hatten.Die Sternenlords hatten die Gorthianer mit ihrer Machtüber die Tiere des Waldes erhoben und ihnen ihrenSchutz gegeben, so wie jetzt der Lord eines jeden Lehengutes einem Gesetzlosen, der vor einem Schwertkampfdavonlief, Sicherheit des Lebens und Schutz gewährenkonnte. Aber jetzt, da die Sternenlords fortgegangenwaren – was würde nun aus Gorth werden?Kincar s’Rud blieb unter dem flatternden MurdshautBanner von Styr stehen und blickte prüfend über die Hügelkämme. Sein Mantel, geschickt zusammengenäht ausStreifen weichen Suard-Fells, von Tieren, die er selbstauf seinen einsamen Jagdzügen im Oberland erlegt hatte,schmiegte sich eng an ihn, wie er dort oben windumwehtauf dem Wachtturm stand und Ausschau hielt nach irgendeiner Bewegung auf den blauerdigen Feldern desGutes. Kincar war kein Riese, der sich mit der Größeeines Sternenlords messen konnte, aber er war muskulösfür sein Alter und übertraf bereits seine Lehrmeister imSchwertspiel. Er stützte sich mit einer seiner schmalen,sechsfingrigen Hände auf die rauhe Steinbrüstung.Er hatte sich am Mittag freiwillig für diesen Postengemeldet, um Jords hinterhältigem Gestichel zu entgehen5

– Jord, der daran glaubte, daß der Abzug der Sternenlords für die Männer von Gorth einen neuen und hellerenTag bedeutete. Und was würde es wirklich bedeuten?Kincars schräge, blaugrüne Augen verengten sich, als erdiesen Gedanken weiter verfolgte.Er, Kincar s’Rud, war der Sohn der Burgtochter unddamit von Blutes wegen der Herrscher, sobald Murds’Jastard in die Gemeinschaft der Drei eingehen würde.Aber wenn er nicht mehr lebte, um dieses Lehen zu beherrschen, dann würde Jord hier der Herr sein. In all denJahren, seit er von der Stadt zu diesem fernen Berggutgebracht worden war, hatte er genug gehört und sichselbst aus Bruchstücken zusammengereimt, um zu wissen, was ihn erwartete, wenn Murd aus dem Leben in dasReich der Schatten ging.Jord hatte seine Anhänger – Männer, die er währendseiner Handelszeit um sich geschart hatte; Männer, dieihm in persönlicher Treue verbunden waren, nicht durchTradition des Clans. Und Jord schien Vorteile für sichselbst geradezu riechen zu können. Weshalb sonst wäreer vor zwei Tagen den langen Weg hierhergekommen, ander Spitze einer buntgemischten Karawane? Angeblichkam er, um die neuesten Nachrichten von der Abreise derSternenlords zu bringen, aber es war doch seltsam, daßMurd gerade bettlägerig geworden war, und in Anbetracht der alten Wunde, die seine Kräfte seit Jahren verzehrte, konnte man kaum hoffen, daß der alte Mann jewieder aufstehen würde.Ob Jord versuchen würde, Kincar einen Schwerterkampf um das Gut aufzuzwingen? Seine ständigen versteckten Bemerkungen schienen es anzudeuten. Dennoch, als nächster Erbe nach Kincar einen solchen Streitzu provozieren, bedeutete unweigerlich, das Schicksal6

eines Geächteten herauszufordern, wie Jord sehr wohlwußte. Und Jord war zu klug, um der bloßen Genugtuungwegen, Kincar aus dem Weg zu räumen, seine Zukunftfortzuwerfen. Da war noch etwas, irgendein andererGrund hinter Jords Interesse an dem Abzug der Lordsund seinen Bemerkungen über das zu erwartende Leben– etwas, das Kincar beunruhigte. Jord unternahm nie etwas, bevor er nicht sicher war, genügend Rückendeckungzu haben. Und jetzt versuchte er kaum, seinen Triumphzu verbergen.Kincar konnte sich nicht mehr an seine Mutter erinnern, es sei denn, er wollte einem sehr verschwommenenTraum von gedämpften Farben, Blumenduft und leisemWeinen in dunkler Nacht den Namen Anora, Burgtochtervon Styr, geben. Aber nie hatte er sich mit der Tatsacheabfinden können, daß Anora und Jord Bruder undSchwester gewesen waren. Und Jord hatte ihm oft genugzu verstehen gegeben, daß, was auch immer zwischenihnen gewesen sein mochte, Haß die Grundlage für alleswar.Obwohl Kincar in Terranna, der Stadt der Sternenlords, geboren wurde, hatte man ihn doch auf das Lehnsgut gebracht, als er noch so jung war, daß er sich an jeneReise nicht mehr erinnern konnte. Und seitdem hatte erdie Ebenen jenseits der Bergkette nie wieder gesehen. Erwünschte es sich auch gar nicht. Wer würde es sich jetzt,nach der Abreise der Sternenlords, schon wünschen, ihreverlassene Stadt zu besuchen oder die leeren Flächenanzuschauen, wo einst ihre Sternenschiffe gestanden hatten.Kincar verstand nicht, warum sie fortgegangen waren.Die Fremden von den Sternen hatten so viel für Gorthgetan – warum flogen sie plötzlich in ihren Schiffen da7

von? Gewiß, er hatte die lästerlichen Gerüchte unter jenen, die Jord folgten, gehört: – daß die Sternenlords denEingeborenen von Gorth ihre großen Geheimnisse vorenthielten – das ewige Leben, mit dem sie gesegnet waren und die Kenntnis von fremden Waffen. Er hatte außerdem auch Gerüchte gehört, daß es unter den Lordsselbst Streit gegeben hatte, daß einige von ihnen Gorthdiese Gaben hatten geben wollen, während andere sichdagegen entschieden, und daß jene, die bereit waren, zugeben, eine Kampfgruppe von Gorthianern um sich versammelten, um zu rebellieren. Aber seit die Lords abgezogen waren, wogegen sollten sie da rebellieren? Vielleicht hatten die Lords in der Stunde ihrer Abreise dieserebellische Welt mit einem Fluch belegt? Trotz des immer noch warmen Windes erschauerte Kincar.»Tochterssohn!«Kincar war so sehr in Gedanken verloren gewesen,daß er, die Hand am Schwert, erschrocken herumfuhr, alser den Anruf vernahm. An der Falltür des Turms erschienRegens behelmter Kopf.»Tochterssohn«, sagte Murds Wachmann, »der Styrmöchte mit dir sprechen.«»Der Styr ist er ?« Aber er brauchte die Fragenicht auszusprechen; die Antwort war bereits in RegensAugen zu lesen.Obgleich Murd schon seit Tagen das Bett hüten mußte, hatte Kincar nicht wirklich geglaubt, daß das Ende sonah war. Der alte Gebieter war schon früher krank gewesen und dem Großen Wald nah genug, um den Wind inden Blättern rauschen zu hören, und doch war er zurückgekehrt, um weiterhin über Styr zu gebieten. Ohne Murdwar das Gut nicht vorstellbar.Vor der Tür des Lehnsherrn legte Kincar Helm und8

Cape ab und faßte sein gezogenes Schwert an der Klinge,um seinem Herrn das Heft darzubieten, dann ging er hinein.Trotz der Wärme brannte ein Feuer. Mehrere Deckenaus Fellstreifen umhüllten die eingesunkene Gestalt aufdem Bett. Murds Gesicht hob sich blauweiß gegen diedunklen Felle ab, aber seine Augen blickten ruhig, und esgelang ihm, angesichts des dargebotenen Schwertgriffsgrüßend einen Finger zu heben.»Tochterssohn.« Seine Stimme war nur noch einschwaches Flüstern, weniger lebendig als seine Augen.Es schien, als müßte Murd seine letzte Kraft sammeln,um jedes Wort zwischen seinen blutleeren Lippen herauszuzwingen. Wieder hob er seinen gekrümmten Finger, und Regen öffnete den Deckel einer Truhe, die andas Bett herangezogen worden war.Unter Murds aufmerksamem Blick nahm Regen dreiBündel aus der Truhe, entfernte die Hüllen und brachteein kurzärmeliges Schuppenhemd aus einem Metall, dasleuchtete wie die Haut eines Reptils, ein Schwert in einerScheide und zuletzt einen gewebten Umhang mit einemZeichen auf der Brust, das Kincar unbekannt war, zumVorschein.Kincar kannte Murds Kriegsausrüstung gut, denn injüngeren Tagen hatte er sie oft putzen und pflegen müssen, aber diese Dinge hier hatte er noch nie zuvor gesehen. Und doch war die Metallarbeit so kunstvoll, daßman ihresgleichen vermutlich nur in den Waffenschränken der Sternenlords finden könnte.Hemd, Schwert und Umhang wurden an das Fußendedes Bettes gelegt, und Murd deutete mit seinem zitternden Finger darauf.»Tochterssohn nimm dein Erbe an dich «9

Kincar griff nach diesem Wunder von Hemd, abertrotz seiner Freude über das Geschenk blieb er wachsam.Etwas an Murds feierlicher Übergabe beunruhigte ihn.»Ich danke dir, Styr«, begann er ein wenig unsicher,aber eine Handbewegung des Alten bedeutete ihm, zuschweigen.»Tochterssohn nimm dein ganzes Erbe an «Die Worte kamen stoßweise und sehr mühsam.Kincar blickte auf das Hemd. Das konnte doch unmöglich wahr sein! Bei allen Gesetzen von Gorth, er,Gutstochterssohn, besaß doch ein größeres Erbe als nurein Schuppenhemd, ein Schwert und einen Umhang, sokostbar diese auch waren!Regen trat näher, nahm den Umhang und breitete ihnaus, so daß das farbenprächtige Muster deutlich sichtbarwurde. Kincar starrte in atemloser Überraschung darauf –gezackte Blitze und zwischen ihnen ein Stern! Kincarbefeuchtete seine plötzlich trockenen Lippen. Das Zeichen war doch es war Um Murds eingesunkenen Mund zeigte sich der Schatten eines Lächelns. »Tochterssohn«, flüsterte er, »Sohnder Sternenlords – dein Erbe!«Das Schuppenhemd fiel klirrend zu Boden. Bestürztwandte sich Kincar an Regen, aber dieser nickte bestätigend.»Es ist wahr, Tochterssohn. Du bist zur Hälfte vomFleisch und Blut der Sternenlords. Und nicht nur das, dumußt dich jetzt ihrem Clan anschließen, denn wir habenKunde erhalten, daß die Rebellen solche wie dich suchenund übel mit ihnen verfahren «»Ächtung ?« Kincar konnte nicht glauben, was er dahörte.Regen schüttelte den Kopf. »Nein, Tochterssohn. Aber10

es ist einer hier in den Mauern von Styr, der den Willender Rebellen an dir ausführen wird. Du mußt fortgehen,bevor der Styr stirbt und außerhalb von Jords Reichweitesein, bevor er Styr wird «»Aber ich bin Tochterssohn!«»Jene innerhalb dieser Mauern wissen von deiner Abstammung«, antwortete Regen bedächtig. »Es gibt einige,die dir folgen und ihr Schwert für dich ziehen werden,wenn du das Murdbanner erhebst. Aber da sind auch andere, die keinen vom Sternenblut in dieser Burg habenwollen. Es würde Bruder gegen Bruder und Vater gegenSohn sein, solltest du Anspruch erheben, Styr zu werden.«Es war wie ein schwerer Schlag, der einem den Atemnahm. Wie betäubt blickte Kincar hilfesuchend aufMurd, aber die immer noch wachen Augen des altenHerrschers enthielten die gleiche unnachgiebige Botschaft.»Wohin soll ich gehen?« fragte er einfach. »Die Sternenlords haben uns verlassen.«»Nicht alle«, flüsterte Murd. »Die Schiffe sind fort,aber einige sind geblieben Du wirst zu ihnen gehen. Regen « Er winkte Regen mit dem Finger undschloß erschöpft die Augen.Der andere bewegte sich rasch, und noch ehe er rechtwußte, wie ihm geschah, spürte Kincar die Hände desMannes, der ihm Ringhemd und Wams anzog. Dannwurde er mit dem Schuppenhemd bekleidet, und darüberkam der Umhang mit dem verräterischen Zeichen. Zuletzt gürtete Regen ihm das neue Schwert um.»Nimm deinen Mantel, Tochterssohn, und dann nehmen wir die innere Treppe. Cim wartet auf dich im Hof.«Murd sprach nun zum letztenmal, aber er öffnete seineAugen nicht mehr, und die Worte waren kaum noch hör11

bar. »Die Karte – und das Glück der Drei sei mit dir,Tochterssohn! Du hättest gut über Styr geherrscht – es istein großer Jammer! Geh – solange noch Atem in mir ist!«Bevor Kincar protestieren oder auch nur formell Abschied nehmen konnte, drängte ihn Regen aus dem Zimmer und die private Stiege hinunter in den Hof. Das Reittier, das er vor zwei Jahren beim Herbsttrieb eingefangenhatte, stand bereit mit Reitpolster und Satteltaschen querüber den breiten Hüften.Cim war kein schöner Larng, kein glatthäutiges, nervöses Vollblut, dafür aber ausdauernd, erprobt im Kampfund besonders geeignet, lange Reisen bei knappen Rationen durchzustehen. Cims schmaler Kopf bewegte sichhin und her, so daß er Kincar mit allen seinen vier Augenbeobachten konnte. Seine kalte-Jahreszeit-Wolle wuchsstellenweise um den langen, dünnen Hals und die Schultern, das Milchweiß der Wolle gesprenkelt mit rostrotenFlecken der gleichen Farbe wie seine Haut darunter.Nein, Cim war wirklich keine Schönheit, und er besaßein ziemlich unberechenbares Temperament, aber fürKincar war er das beste Reittier von allen auf Styr.Aber Cim war nicht das einzige auf dem Gut, das erals sein eigen beanspruchen konnte. Als Kincar sich aufdem Reitpolster des Larng niederließ und die Ohrenzügelergriff, stieß er einen Pfiff aus, einen einzigen, hohenTon. Und sogleich erhielt er Antwort von dem Brutschlag auf dem kleineren Turm. Auf ihren gerippten Lederschwingen, die einen Körper trugen, der zu einemDrittel aus dem Kopf mit entblößten, scharfen Fängenund riesigen, intelligenten, roten Augen bestand, kreistedie Murd über dem Kopf ihres Herrn und flog dann davon. Vorken würde für den Rest des Tages in seiner Nähe bleiben und seinem Ruf folgen.12

»Die Straße zum Norden « Regen sprach hastig undmit erhobenen Händen, als wollte er Kincar buchstäblichaus dem Hof vertreiben. »Die Karte ist in der linken Tasche, Tochterssohn. Nimm den Murdklauen-Paß. DerSegen der Drei ist mit uns, daß die Stürme ihn noch nichtverschlossen haben. Aber du hast nur wenig Zeit «»Regen!« Endlich gelang es Kincar, das unwirklicheGefühl, sich in einem Traum zu befinden, abzuschütteln.»Schwörst du beim Recht des Clans, daß dies gut ist?«Der Wachmann begegnete seinem Blick offen. Kincarlas in seinem Blick jedoch nicht nur Aufrichtigkeit, sondern auch eine Sorge, die

Title: TTB 216 - Norton, Andre - Blut der Sternengötter Created Date: 12/6/2006 1:14:13 AM