Herzlich Willkommen Zum AGU Seminar 2019

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Herzlich willkommen zum AGU Seminar 20191400:Computer-Simulationen in der Forschung und in GutachtenDr. Markus Muser, AGU Zürich1430:FE-Modellierung des menschlichen Körpers - Stand der Technik und PotenzialDr. Arne Keller, AGU Zürich1500:Tests und Schutzpotenzial von neuartigen FahrradhelmenRaphael Murri, DTC Dynamic Test Center AG VauffelinJakob Gross, AGU Zürich1530:PAUSE1600:Warum wir uns auf dem Velo manchmal (zu) gefährlich verhaltenProf. Dr. Markus Hackenfort, ZHAW angewandte Psychologie, Zürich1630:Gutachten im StrafprozessRA Dr. med. Regula Bauer-Kreutz, Steinegger Rechtsanwälte Bernwww.agu.ch

Computer-Simulationen in der Forschung und inGutachtenMethoden zur (bio-) mechanischen Modellierung von UnfällenDr. M. H. Muserwww.agu.ch

Forschung GutachtenWenige «Fälle», meistStandardsituationenViele «Fälle», jeder Fall andersAufwand Aufwand -Alle Randbedingungen prinzipiellkontrollierbarRekonstruktion, nur «Resultat»bekanntWas wäre wenn ?Wie war es ?

Physikalische Grundgesetze Bewegungsgleichungen, Impulssatz, Drallsatz Impuls-Erhaltung: Summe der Geschwindigkeiten mal der Massen derbeteiligten Fahrzeuge bleibt erhalten𝑚1 𝑣1 𝑚2 𝑣2 𝑚1 𝑣1′ 𝑚2 𝑣2′!! Stimmt (fast) immer Energie-Erhaltung: Summe der kinetischen Energien der beteiligtenFahrzeuge bleibt erhalten𝑚1 𝑣1 22 𝑚2 𝑣2 22𝑚1 𝑣1 ′2 𝑚2 𝑣2 ′2 2 2!! Stimmt (fast) nie, Deformationsenergie fehlt!! WDef

Simulation Modellierung Vereinfachung Grad der Vereinfachung Impuls (z.B. mit 2 Körpern Fahrzeugen)1 1 s.Einmassen-System (z.B. Aufprallgeschwindigkeit nachSturz)1 1 s.Mehrkörpersysteme (Federn, Gelenke, Massenpunkte)100 1hFE-Modelle500000Mehrere Stunden So einfach wie möglich aber nicht einfacher (!)

Simulation im Rechner Virtual Testing Kostenvorteile gegenüber realen Tests (manchmal) Bessere Kontrolle der Randbedingungen Möglichkeit, (viele) verschiedene Situationen zu testen Sogar Homologation vorgesehen (Validierung? Kontrolle? Kriterien?) FE-Modelle Rechnergestützte Unfallrekonstruktion Möglichkeit, viele Varianten zu überprüfen (stochastische Simulationen ) Stoss-Impuls-, Feder-Massen-, Mehrkörpersystem-Modelle Selten: FE-Modelle

Virtual Testing Bild: Imperial College London

Stoss-Impuls, steifigkeitsbasierte Kollisionsmodelle,Fahrdynamik-Modelle Fragestellungen: delta-v, Einlauf- und Auslauf-Bewegungen Nur bedingt: Fahrzeugbeschleunigungen Praktisch nur für technische Unfallanalyse Erweiterte Fragen: Bremswege, Vermeidbarkeit, Sicht Insassenbelastungen durch Vergleich mit Forschungsdaten (z.B. Resultatevon Crashtests) Parameter-Variationen möglich Input: Steifigkeits- und Elastizitäts-Parameter, (viele)Fahrzeugeigenschaften

Mehrkörper-Systeme Fragestellungen: Kinematik z.B. Fussgänger-Kollision,Insassenbewegungen (grob), Verletzungskriterien (Vorsicht: nur beibekannten Randbedingungen) Unfallanalyse (technisch / biomechanisch), F&E (Optimierung vonRückhaltesystemen) (Insassen-) Belastung kann berechnet werden, muss aber (sehr)vorsichtig interpretiert werden Input: (Grobe) Geometrie, globale Eigenschaften (z.B.Fahrzeugsteifigkeiten)

ABCDEFResultate Kinematik v 40 km/hABCDEF

FE-Modelle Fragestellungen: Crashverhalten, Verletzungsmechanismen Heute praktisch ausschliesslich Forschung / Entwicklung Input: Materialeigenschaften, detaillierte Geometrie

Heute: Umfangreiche Datenbanken mit Fahrzeugdaten 3D-Berechnungen, Grafik, Animation Komplexe MKS-Datensätze z.B. für Dummies Rechenleistung führt zu anderem Umgang mit den Simulationsprogrammen Neben Kollisionsberechnung umfangreiche Zusatzfunktionen: Vermeidbarkeit, Weg-Zeit-Betrachtungen Fahrdynamik Insassen-Modellierung in Rekonstruktionsprogramme integriert

Modellbildung Auch mit (relativ) einfachen Modellen können zuverlässige Berechnungenausgeführt werden, aber:Die Vereinfachung der Berechnung wird ausgeglichen durch a-priori Wissendes Rekonstrukteurs: Deformationsenergien Steifigkeiten / Elastizität Das a-priori Wissen kommt zu grossen Teilen aus ReferenzCrashversuchen Der niederschwellige Zugang zu diesen Daten ist essenziell für eine hoheQualität der Unfallrekonstruktion

Crashdatenbank Finanzierung durch SVV Partner: axa, Zürich, DTC, agu, Allianz Einzigartige Zusammenstellung von Low-Speed-Tests, heute 240Versuche Alle Daten frei verfügbar www.agu.ch

Schlussfolgerungen Rechnergestützte Simulationen sind heute in Forschung sowie in derUnfallrekonstruktion Stand der Technik In Zukunft wird «Virtual Testing» eine wichtige Rolle spielen In der Unfallrekonstruktion werden komplexere Modelle (FE) noch längerbrauchen, weil: Die Rechenzeiten keine Parametervariationen zulassen Der Aufbau der Modelle zu aufwändig ist bzw. die FE-Modelle der Fahrzeughersteller nichtverfügbar sind Für die Qualität der Rekonstruktion ist nicht die «Qualität» der Methoden,sondern die Qualität und Verfügbarkeit der Referenzdaten entscheidend

Tram mpg agu 2014 Fahrsled.mpg Pedestrian-city.avi Van250.avi (ev ) Sim.avi Linder.avi

Vor 70 Jahren :Rekonstruktion (Brüderlin 1941)

Unfallrekonstruktion, Methoden Klassische Mechanik Impulssatz Energiesatz kompliziert durch Elastizität der Strukturen Reibungskoeffizienten (Reifen, Bremszustand, Lenkung) Nicht vollständig gekoppelte Massen (Ladung, Insassen,Fahrgestell - Karosserie) Analytisch lösbar (manchmal )

MathematischeRekonstruktionenAutokollisionen: Bewegungen starrer Körper(Lage der Massenmittelpunkte) 3-D Bewegungen Einfluss von nicht starr mit demAuto verbundenen Massen Fahrzeugdeformationen Bodenkräfte (Pneureibung) Verhakungen Terrain Spezialfälle (z.B. Sturz ins Wasser)Motorräder: Bewegungen starrer Körper(Dreikörperproblem)Fussgänger: Bewegungen starrer Körper(Mehrkörperproblem)

Motorräder :DeterministischesChaos

Unfallanalyse - Methoden Numerische Integration der Bewegungsgleichungen: „Simulation“, heute praktisch ausschliesslich im RechnerBei bekannten Deformationseigenschaften auch zur Lösung derStossprobleme verwendbarNormalerweise verwendet um den Weg der Fahrzeuge vor undnach der Kollision (Spuren etc.) zu rekonstruieren Man kann entweder bei angenommenen StossParametern den Auslauf der Fahrzeuge in diedokumentierte Endlage berechnen, oder aus dendokumentierten Endlagen auf die Stoss-Parameterzurückrechnen

Die technische Unfallanalyse. Kann durch Rekonstruktion des Ablaufs eines Unfalls,technische Parameter bestimmen, Geschwindigkeitsberechnungen Ermittlung der kollisionsbedingten Fahrzeugbelastungen (z.B. delta-v) Analyse von Fahrverläufen (Anfahr-, Abbiege- und Überholmanöver) Analyse der Weg-Zeit-Abläufe Vermeidbarkeitsbetrachtungen Analyse der Fahrdynamik von Fahrzeugen Analyse von Unfällen mit Fussgängern und mit Zweiradfahrern Varianten von Ereignissen ein- und ausschliessen Kann NICHT Aussagen über die Verletzungen der Fahrzeuginsassen machen

FE-Modellierung des menschlichenKörpers: Stand der Technik undPotenzialDr. Arne Kellerwww.agu.ch

Fahrzeug-Modell: Und die Insassen?

Modellierung der Mechanik desmenschlichen Körpers Stand der Technik:StarrkörperModelleQuelle Abbildung:Thomas ROBERT / Thèse de mécanique /Institut National des Sciences Appliquées deLyon / T. Robert 2007

Starrkörper-Mechanik: Simples abererfolgreiches physikalisches Prinzip

Starrkörper-Mechanik: Simples abererfolgreiches physikalisches PrinzipN Körper 6NKoordinaten (Positionund Orientierung)

Grenzen: Beschreibung vonDeformationen

Beschreibung deformierbarer Medien:Kontinuumsmechanik FeldgleichungenFreiheitsgrade:Unendlich viele!Displacement of a continuum.png: Sanpazderivative work: Nicoguaro placement of a continuum.svg), „Displacement ofa bysa/3.0/legalcode

Finite-Elemente Methode: Lösung durchDiskretisierung Nur nochendlich vieleFreiheitsgradeDisplacement of a continuum.png: Sanpazderivative work: Nicoguaro placement of a continuum.svg), „Displacement ofa bysa/3.0/legalcode

Finite-Elemente Methode: Lösung durchDiskretisierungDisplacement of a continuum.png: Sanpazderivative work: Nicoguaro placement of a continuum.svg), „Displacement ofa bysa/3.0/legalcode

Anwendung auf menschlichen lidierung?

Beispiel:VIVA Human Body Model Entwicklung:CHALMERS Universität Göteborg Weiblich, 50ste Perzentile

Beispiel:VIVA Human Body Model

Beispiel: VIVA Human Body Model

Anwendungsmöglichkeiten:Mittelfristigmöglich: RegulatorischeTests (UnfallRekonstruktion evviel später)Heute/baldmöglichVirtuelles Testen: Industrie-Design Verbrauchertests(EuroNCAP)

Bestehende FE-Menschmodelle:Proprietäre ModelleOpen Source

Neues Projekt seit 2018:Open Source Human Body Models

Projektpartner

Ziele und VisionenOpen SourceDiversität, AnpassbarkeitMenschmodelleModelle diverserVerkehrsteilnehmerVirtuelle TestverfahrenModell für MuskelAktivität

Ausblick Projektende: 2022 Menschmodelle Virtuelles Testen Open Source Technischer Standard Neue Möglichkeiten inSicherheitsforschung

Dynamic Test CenterTests und Schutzpotenzialvon neuartigenFahrradhelmenmit/ohne MIPSDTC Dynamic Test Center AGCH-2537 VauffelinRaphael Murri, DTCPatrick Isler, DTCKai-Uwe Schmidt, AGUOthmar Brügger, bfu

Inhalt1.Untersuchung Fahrradhelme mit/ohne MIPS2.Testmethode3.Testobjekte4.Ergebnisse Fallversuche5.Ergebnisse Schlitten-Dummyversuche6.ZusammenfassungGiro Sutton mit MIPSAnalysing – Engineering – Homologation – Testing – Training – Certificationwww.dtc-ag.ch2

1. UntersuchungTests und Schutzpotenzial von Fahrradhelmen mit/ohne MIPSMulti-directional Impact Protection Systemim Auftrag der bfu (Grundlage-Paper in Kürze bei der bfu erhältlich)DTC Dynamic Test CenterAGU Arbeitsgruppe für UnfallmechanikAnalysing – Engineering – Homologation – Testing – Training – Certificationwww.dtc-ag.ch3

1. UntersuchungMIPS Kunststofffolie zwischen Kopf und Helm mit elastischen Gummibänder fixiert Reduktion der rotativen Belastung auf Kopf Aufpreis für Helm mit MIPS ca. 20.–Beispiel Rudy Project - Rushohnemit MIPSAnalysing – Engineering – Homologation – Testing – Training – Certificationwww.dtc-ag.ch4

2. TestmethodeA: Helmen Fallversuche gemäss der Vornorm prEN 13087-11(*aktuelle Norm EN 1078) 6 m/s Kopfanprall (*5.4 m/s) H3 Kopf mit Beschleunigungs- undDrehratensensoren 45 Ebene (*gerade Fläche) Raue Oberfläche - 40er Schleifpapier In x-, y- und z-Richtung (* nur z-Richtung) Jeder Helm nur einmal verwendetGrenzwerte: Max Beschleunigungspeak 250 g (* ident.) HIC (* n/A) BrIC (* n/A)Fallprüfstand DTCAnalysing – Engineering – Homologation – Testing – Training – Certificationwww.dtc-ag.ch5

2. TestmethodeBeispiel Fallversuch: Bell Hub mit MIPS Helm Fallversuch X-AchseAnalysing – Engineering – Homologation – Testing – Training – Certificationwww.dtc-ag.ch6

2. TestmethodeB: Schlitten-Dummyversuche mit H3 50% Dummy Auf 30 Fläche (gemäss Diskussion in Normentwurf) 6 m/s Zusätzliche Messung der HWS-Belastung: Nij, My und Fz Rotation um y-Achse Masse des Körpers führt zueiner Reduktion derKopfbeschleunigungSchlittenprüfstand DTCAnalysing – Engineering – Homologation – Testing – Training – Certificationwww.dtc-ag.ch7

2. TestmethodeBeispiel Schlittenversuch: Bell Hubmit MIPSAnalysing – Engineering – Homologation – Testing – Training – Certificationwww.dtc-ag.ch8

3. Testobjekte* mit MIPSBeim Giro Chronicle wurde das Nachfolgemodell geliefert, wodurch derEinfluss von MIPS bei diesem Helm nicht quantifiziert werden kann.Analysing – Engineering – Homologation – Testing – Training – Certificationwww.dtc-ag.ch9

4. Ergebnisse Fallversuche1)1)1)* mit MIPS BrIC: in der Tendenz tiefere Rotationsbelastung mit MIPS ( 1) keinnormbasierter Grenzwert) HIC: die biomechanischen Grenzwerte wurden nur bei zwei Testsgeringfügig überschritten Die maximale Beschleunigung wurde bei keinem Test überschrittenAnalysing – Engineering – Homologation – Testing – Training – Certificationwww.dtc-ag.ch10

4. Ergebnisse FallversucheDas BrIC hat sich mit MIPS im Durchschnitt wie folgt reduziert: X-Achse: -12%, Y-Achse: -16%, Z-Achse: -5%Analysing – Engineering – Homologation – Testing – Training – Certificationwww.dtc-ag.ch11

5. Ergebnisse Schlitten-Dummyversuche1)* mit MIPSKopf: Grenzwerte sehr gut eingehalten BrIC: deutlich tiefere Werte mit MIPS ( 1) kein Normbasierter Grenzwert) HIC & amax: wegen der Körpermasse extrem niedrige WerteHWS: teilweise massive Überschreitung der Grenzwerte (My) Nij und My: deutliche Reduktion der Rotationsbelastung Fz: geringfügige Reduktion der DruckkräfteAnalysing – Engineering – Homologation – Testing – Training – Certificationwww.dtc-ag.ch12

6. Zusammenfassung Testprozedur nach prEN 13087-11 hat sich zur Beurteilung derRotationsbelastung bewährt MIPS hat einen messbaren positiven Effekt auf dieRotationsbelastungen am Kopf UND an der HWS Ein nachteiliger Effekt durch MIPS konnte nicht gefunden werdenFazit Das Schutzniveau von Helmen kann mit MIPS verbessert werden Sicherheitsdefizite können allerdings durch MIPS nicht kompensiertwerden (ein schlechter Helm wird mit MIPS nicht «gut»)Analysing – Engineering – Homologation – Testing – Training – Certificationwww.dtc-ag.ch13

SchlussVielen Dank für Ihre AufmerksamkeitAnalysing – Engineering – Homologation – Testing – Training – Certificationwww.dtc-ag.ch14

Computersimulationen zur Berechnungder GehirnbelastungenEin Vergleich des Schutzpotentials verschiedener FahrradhelmeJakob Grosswww.agu.ch

Kopfmodell FE-Modell der KTH Stockholm Berechnung der Verzerrungen Input: Beschleunigungswerteder FallversucheQuelle: Kleiven, 2007

Ergebnisse Grenzwerte aus der Literatur: Bis 19,7% geringesVerletzungsrisikoVon 19.8% bis 38.7%GehirnerschütterungenAb 38.8% schwereHirnverletzungen

Grenzen der Simulationen Die Simulationen sind mit einem relativ grossem Rechenaufwandverbunden (hier: 3.5h für eine 30ms lange Simulation) Einflüsse durch das Mesh und die Materialeigenschaften müssennoch genauer untersucht werden

SchlussfolgerungOhne MIPS Helme mit MIPS reduzieren dieBelastungen auf das Gehirn Verletzungen sind für keinen derHelme ausgeschlossen Belastungen des Gewebes könnendurch die Simulation gutveranschaulicht werden Die Methode eignet sich gut zurVerbesserung von SchutzsystemenMit MIPS

«Legale Willkür» im Strafprozess?Im Besonderen: Gutachtenin der Mühle der Justiz.AGU-Seminar vom 16.01.2019ZürichRolf P. Steinegger, Rechtsanwalt, Bern

www.sb-law.chSteinegger Rechtsanwälte2

Richterliche egger RechtsanwälteUrteil3

Die Leitplanke der Beweiswürdigung:Die strafrechtliche Verurteilung erfordert mehr als nur den Nachweiseiner hohen Wahrscheinlichkeit. Der Grundsatz derUnschuldsvermutung besagt als Regel der Beweiswürdigung, dasssich der Strafrichter „nicht von der Existenz eines für den Angeklagtenungünstigen Sachverhaltes überzeugt erklären darf, wenn beiobjektiver Betrachtung Zweifel bestehen, ob sich der Sachverhalt soverwirklicht hat Die Unschuldsvermutung ist schon da verletzt, woder Richter verurteilt, obwohl er aufgrund der objektivenSachumstände hätte zweifeln müssen Damit eine Verurteilungerfolgen kann, ist eine persönliche Gewissheit (des Richters)hinsichtlich der Tatschuld notwendig. Es reicht folglich nicht aus,wenn die Beweise objektiv zwar klar auf eine Schuld des Angeklagtenhinweisen, den Richter aber persönlich nicht zu überzeugenvermögen“ (Urteil des OG ZH, 05.10.2004, unter Verweis auf RobertHauser/Erhard Schweri, Schweizerisches Strafprozessrecht, 5.A.,Basel 2002, § 54 Rz 13, und BGE 127 I 41, 124 IV 87 E. 2a).Steinegger Rechtsanwälte4

Die Beweiswürdigung ist Bauchsache„Das Gericht steht in der Würdigung des Prozessstoffes aufdessen Beweiswert völlig frei da. Dabei entscheidet dieVerknüpfung von Denken, Fühlen sowie Intuition“.Etwas salopp wird sich diese Aussage dahingehend zusammenfassen lassen, dass die Beweiswürdigung gleichsam eine Sachedes „Bauches“ ist. Der Verstand setzt erst bei derRechtsanwendung ein.Einfallstor BauchSteinegger Rechtsanwälte5

Zur Relevanz des „Bauches“Die Sachverhaltsfeststellung macht durchschnittlich etwa die Hälfteder in Zivilverfahren auftretenden Probleme aus, und sie wird sowohlin der Ausbildung als auch in der Praxis vernachlässigt.Matthias Stein-Wigger, Zivilgerichtspräsident Basel-Stadt, in: AJP 11/2010, 1410Steinegger Rechtsanwälte6

Unverdauliches?Sachfremde Motive können bei der richterlichen Urteilsfindungdurchaus eine Rolle spielen. Vor allem im Bereich derBeweiswürdigung .Jürg Sollberger, a. Oberrichter des Kantons Bern, in: plädoyer 5/02, Sonderbeilage Oktober2005, 22Steinegger Rechtsanwälte7

Sachfremde Urteilsfaktoren / Denkfehler / aussagepsychologischeFehler / Absicht des Richters / Kompetenz / ErfahrungBeweiswürdigung / BauchgefühlphaseZRichterlicheGehorsamsrate:100% cheGutachtenSuva – Med. Mitteilungen, Nr. 77, 10; Christian A. LudwigSteinegger Rechtsanwälte8

Sachfremde Urteilsfaktoren / Kompetenz / Erfahrung / Absicht des RichtersPhase Rechtsanwendung / Phase des VerstandesZEndeBeweisverfahrenUrteilAllgemein abstraktes Rechtssystem vs. case law: Permanente Weiterbildung undSpezialisierung (Fachgerichte für Komplexschäden); Gefahr Wissensschere.Steinegger Rechtsanwälte9

Staatshaftungsfälle auf Bundesebene(1970 – 2011)-895-wovon 57 ( 6%) judikatives Unrechtwovon 40 Fälle Gegenstand Fehlurteilekein einziges StaatshaftungsbegehrengutgeheissenSteinegger Rechtsanwälte10

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Fall PoppyFloppy07.12.2011Steinegger Rechtsanwälte12

Sachverhalt ISteinegger Rechtsanwälte13

Sachverhalt IIVideo 1Video 2Fragen:1. Wo kam es zum Eintritt der tödlichen Verletzungen?-Hat der Fahrer des blauen Fahrzeuges eine schon tödlichverletzte Person überfahren?2. Erkennbarkeit / Vermeidbarkeit des Unfalles?Steinegger Rechtsanwälte14

Video 1Steinegger Rechtsanwälte15

Video 2Steinegger Rechtsanwälte16

Sachverhalt IIVideo 1Video 2Fragen:1. Wo kam es zum Eintritt der tödlichen Verletzungen?-Hat der Fahrer des blauen Fahrzeuges eine schon tödlichverletzte Person überfahren?2. Erkennbarkeit / Vermeidbarkeit des Unfalles?Steinegger Rechtsanwälte17

Tag 1 nach UnfallVerfügung der Staatsanwaltschaft vom 08.12.2011 / Fakten nacherster Sichtung: Fussgängerin von Pw Seat frontal erfasst;Spuren an der Stossstange Seat;Spuren an der A-Säule des Seat (mit Gewebeanhaftung,vermutlich Haare);Spuren am linken Rückspiegel des Seat;durch die Kollision wurde die Fussgängerin auf die Gegenfahrbahngeschleudert.Steinegger Rechtsanwälte18

Tag 2 nach UnfallIRM (Assistenzärztin an Staatsanwaltschaft)„Die bei der ersten Kollision und dem anschliessenden Aufprall auf derStrasse entstandenen Verletzungen waren auf keinen Fall tödlich. /Das vorgefundene Verletzungsbild ist hochspezifisch und entstehtpraktisch ausschliesslich beim Überrollen“. / „Die Verletzungen durchdie erste Kollision waren nicht tödlich. Die tödlichen Verletzungenwurden mit allergrösster Wahrscheinlichkeit durch die zweiteKollision hervorgerufen“.Steinegger Rechtsanwälte19

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Prof. Dr. Ing. Hermann Steffan, Graz:Ging davon aus, dass es – mit einer grossen Wahrscheinlichkeit – zueinem massiven Kopfkontakt der Fussgängerin mit der A-Säule desSeat kam. Dieser Anprall und der anschliessende Bodenkontaktwaren „jedenfalls geeignet, auch tödliche Verletzungen auszulösen“. „Es kann aber sicher nicht angegeben werden, dass diesesÜberrollen (scil. Fahrzeug Fiat) die tödlichen Verletzungen ausgelösthat“.«Der Bodenanprall des Kopfes erfolgt mit knapp 30 km/h, wobei diekollisionsbedingte Geschwindigkeitsänderung zirka 25 km/h beträgt.Dies entspricht einem freien Fall auf den Kopf aus einer Höhe von 2,5bis 3,5 m Beide Kontakte (A-Säule / Bodenanprall) sind jedenfallsgeeignet, schwere Kopffrakturen zu verursachen“. Prof. Steffan:„Prinzipiell kann hier angemerkt werden, dass sehr häufig tödlicheVerletzungen auch aus dem Kopfanprall am Boden erfolgen können“.Die gerichtlichen Gutachter haben es unterlassen, die „Spuren biogenenMaterials (Haare, Haut, Blut)“ auf der Fahrbahn zu untersuchen undauszuwerten.Steinegger Rechtsanwälte22

Prof. Dr. med. Wolfgang Eisenmenger / Prof.Dr. med. Mathias Graw / PD Jiri Adamec : anstossbedingt wurde der Fussgängerin eine Drehung um ihreHochachse im Uhrzeigersinn aufgezwungen; dies führte dazu, dass sie „voll mit dem Hinterkopf gegen dieA-Säule aufschlug“; entscheidend ist, dass in den IRM-Unterlagen „eindeutige sog.Impressionsbrüche des Hinterkopfes erkennbar (sind)“, d.h.die Knochenbruchstücke sind gegenüber der ursprünglichenWölbung des Hinterhaupts nach innen verlagert;Steinegger Rechtsanwälte23

„Dies ist ein eindeutiger Hinweis darauf, dass dieseschwere Zertrümmerung der Hinterhauptschuppen durchden Anschlag an der A-Säule gesetzt wurde“; „Die Ausprägung der Verletzungen an der Schulter links istrelativ gering, so dass man sich schwer vorstellen kann, dassein Kontakt mit etwa 40 km/h der Schulter mit einer steifenkantigen Formation wie dem A-Holm erfolgte“; die Verletzungen am Hinterkopf entstanden nicht durcheinen Überrollvorgang; hier ergab sich ein Scharnierbruch inder Schädelbasis – eine klassische Überrollverletzung;Steinegger Rechtsanwälte24

am Dachholm an der A-Säule des Seat wurden Gewebereste,mutmasslich mit Haaren, festgestellt; diese Spuren wurden„aber offenbar nicht gesichert und untersucht“; es kann „keinesfalls ausgeschlossen werden, dass die beimPrimäranstoss mit dem Seat gesetzten schwerenVerletzungen, auch ohne Hinzutreten der Überrollverletzungen,für sich den Tod allein bedingt hätten“; die Abgrenzung, welche der jeweiligen Todesursachen(Verbluten / Atemlähmung infolge Zerstörung des Gehirns)welcher Gewalteinwirkung zuzuordnen ist, erweist sich alsunmöglich; der Tod trat nicht unmittelbar nach dem Überrollen ein.Steinegger Rechtsanwälte25

Die verschwundene SpurDie „Gewebeanhaftung, vermutlich Haar“ an der A-Säule:Obschon von fallentscheidender Bedeutung verschwindet diese Spursang- und klanglos aus den Akten.Dass diese Spur „offensichtlich nicht gesichert und untersucht“wurde, rügt auch das Gutachten des IRM München. Haben sich aberGewebereste der Fussgängerin an der A-Säule des Seat finden lassen,ist auch der Kopfanprall an dieser Stelle nachgewiesen, was alleParteigutachter annehmen – im Gegensatz zu den gerichtlichenGutachtern. Hier handelt es sich um einen schweren Verfahrensfehler,der zugunsten der Beschuldigten zu würdigen ist. Dazu auch dieStellungnahme des IRM München vom 12.01.2016: „Zu unseremErstaunen vermissen wir jede Auseinandersetzung des HerrnStaatsanwalts mit der Frage, wie ein Gewebstück, das „mutmasslich mitHaaren“ versehen war, an den Dachholm an der A-Säule gelangte“.Steinegger Rechtsanwälte26

Ausgangslage des StrafrichtersVersion IRM:kein Kopfanschlag ander A-Säule, ÜberrollentödlichVersion Eisenmenger et al.:Kopfanschlag an der A-Säule /schwere Verletzungen beimPrimäranstoss (eindeutigeImpressionsbrüche amHinterkopf), die für sich alleinden Tod bedingen konnten; sieentstanden nicht beimÜberrollvorgang.Steinegger Rechtsanwälte27

Tag 1815 nach UnfallWende in der HauptverhandlungDer Vertreter des IRM und die Parteigutachter der Beschuldigtensind sich einig: Die erste Kollision hatte den Abriss des Hirnstammesund den sofortigen Hirntod der Fussgängerin zur Folge.Freispruch der Fiat-Fahrerin nach rund 5 Jahren.Steinegger Rechtsanwälte28

Kosten des Freispruchs:rund CHF 70 000 an die Beschuldigte (Verteidigungskosten, inkl.Kosten der Parteigutachter)CHF 5’000 Genugtuungrund CHF 15 000 Verfahrenskosten.CHF 100 000 für Inkompetenz und Führungsfehler des IRM.Staatshaftung?Steinegger Rechtsanwälte29

Lehren aus den FallbeispielenAllgemeinoffene AbklärungDenken in OptionenSorgfalt und DetailfreudeLeidenschaftStA Gericht Verteidigung Eigene Ermittlungen / Parteigutachter(Christoph Rückel, Die Notwendigkeit eigener Ermittlungen desStrafverteidigers, in Festgabe für Karl Peters, Wahrheit und Gerechtigkeit imStrafverfahren, 265 ff.).Beschuldigte: Rechtsschutz-VersicherungSteinegger Rechtsanwälte30

still confused, but on a higher level?Vielen Dank für Ihre AufmerksamkeitSteinegger Rechtsanwälte31

Komplexe MKS-Datensätze z.B. für Dummies . mit/ohne MIPS DTC Dynamic Test Center AG CH-2537 Vauffelin Raphael Murri, DTC Patrick Isler, DTC Kai-Uwe Schmidt, AGU Othmar Brügger, bfu. www.dtc-ag.ch Inhalt 1. Untersuchung Fahrradhelme mit/ohne MIPS 2. Testmethode